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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 1/2
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Roh, Franz: Ein neuer Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0019

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EIN NEUER P. BRUEGEL

Mit zwei Abbildungen Von F. ROH

Inhalt. — Schweres Bauernvolk in einem Haustor fichtbar. Zwei Kerle umfaffen ihre
Weiber. Zu ihrer fchwanken Bewegung ftampft vorn ein Kinderpaar einen Tanz,
vorm Tore, wo links ein fchweres Faß ruht. Darüber ein Gitterfenfter, hinter dem
zwei Köpfe ftehen, zwei weitere dunkeln undeutlich hinter den Umarmern hervor. Ein
dickes Kejfeltöpfchen hängt vor dem Handtuch, das fich den Türpfoften herunterzieht1.

Bau. — Frontalität des Wandverlaufs. Die Tür breit, etwa mitten hineingefdhnitten,
bis an den oberen Rand hinauf, fo daß fie nirgends überdeckt das Bildganze weithin
beherrfcht. Ganz oben ein Balken horizontal über die Fläche hin, als Nachklang ihm
parallel die Balkenlinie in halber Türhöhe, durch den Arm übergefeßt über die Figuren.
Unten in klarer Breitendehnung die Bodenfläche. In diefen architektonifchen Ausrich-
tungen als Gegenftöße die Figuren, die kräftige Bewegung in das Formfpiel werfen.
Obgleich das Mädchen, der Knabe, das erfte und das zweite Paar je einen Schritt
hintereinanderftehn, ift alles für Flächenzufammenfchluß genußt, die Tiefenftreckung
unterdrückt. Die Wandfchicht bleibt Dominante, weshalb die hinterften zwei Männer-
köpfe, welche Raumwirkung feßen würden, ganz andeutungsweife nur auftreten dürfen.
Auch die Kinder kaum als Vorderes genoffen, fondern reliefmäßig aufgelegt, befonders
oben ihre Anheftung nach hinten fpürbar. Unten ift durch den Bodenvorftoß eine
Raumvorftellung zugeiaffen. Wie fo im Räumlichen fparfame Befchränkung waltet als
kraftvolle Rückführung des Vielfältigen auf ein Einfachftes, ift auch fonft expreffiver
Zufammenfchluß da. Die Leute hinter der Tür zufammengebaut zu zwei Einheiten: ein
Rückenpaar und ein Frontalpaar. Nur einmal in voller Erfcheinung und ganzer
Breite, womit eine große beherrfchende Form gewonnen, die das andere Paar breit
überdeckt und einen einzigen Hauptwert als Türfüllung feßt. Alle Kleinform darin
möglichft gemieden: Wegfall zweier Gefichter, nirgends eine Hand zu fehen. Die
Kinder wieder zu einem Komplex gerundet, in der einheitlich großen Kurve von rechts
unten herauf, zufammengefchloffen durch den einheitlichen Tritt der erhobenen Sohlen,
die wie in eine Gerade eingespannt ftehen. Alle Figuren kurz und ftumpf. Die Be-
wegung wie bei Tonnen, die auf der Kante gerollt werden. Kaum offene Augen und
Blicke als Auslaß ins Ferne, fomit auch feelifch dumpf in fich verbleibend. Nur zwei
von hinten blicken, durch Schatten aber völlig abgeblendet. Von geometrifierendem
Schnitt jedes Kleidungsftück, die viereckige linke Haube, die andere halbkreisförmig
fchließende, die kanellierenden Falten des fäulenfeften Weiberrockes, der radikale
Schürzenzufchnitt. An dem des Kindes und an feinem Hut wird dabei deutlich, wie
folche Reduktionen nicht nur im Ebenen walten, wie fie vielmehr gerade das Räum-
liche vereinfachend ergreifen wollen: der Kinderfchurz ift fo gefchoben, daß er als
fefter Flächenfchild wirkt, nicht modellierend das Körperrund umführt. Das Rund des
Mädchenhutes wird zu einem Oval: alles wie angefogen von der Flächengewalt des
Ganzen.

Farbe.— Die Abbildung fieht viel zu rauchig aus, das Bild wirkt unzerriffen blühend
bis ins Dunkel. Klares einheitliches Gelbrot von Hofe, Müße und Strumpf der männlichen
Hauptfigur. Als Gegenwert ein blaffes Seegrün feiner Wefte, einheitlich gebreitet. Die
umarmte Alte violettgrau, ähnlich der ganze Knabe. Sonores Braungold des Mädchens
vorn. Mancherlei Weiß (Hemden, Hauben, Schürzen, Handtuch) hell ins Bild geftellt

1 Diefe Begegnung deutet ein niederländifcher Volkskundler als gefdileditlidie Änfpielung auf
Tanzbodenfpäße derbfter Art.

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