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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 1/2
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Uhde-Bernays, Hermann: Karl Voll
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KARL VOLL

Von HEBJHANN UHDE-BEHNHYS

Sollte die Aufnahme in die kunftwiffenfdiaft-
lichen Gefilde des Olymp, die nur böfe Menfchen
je nach ihren vorgeblichen irdifdien Erfahrungen
von Zankesrufen durchtobt oder von Weihrauch-
düften gefchwängert fich vorzuftellen wagen,
wirklich abhängig fein von der peinlichen Ab-
ftimmung der hier unten zurückgebliebenen Fach-
genoffen und der emporgehaltenen Ruhmestafel
eines forglich geleifteten und ftaatlich anerkannten
Beamtenfleißes, fo dürfte Karl Voll unbedingt
zurückgewiefen worden fein, wenn er am Vor-
mittag des 25. Dezember 1917 mit feiner kräf-
tigen Fauft am Eingang zu jener gefegneten
Herrlichkeit gepocht hat. Aber, wer den ftreit-
baren Mann genau kannte, wird nicht im ge-
ringften daran zweifeln, daß er bei feiner vor-
züglichen gaftronomifchen Witterung hach der
Ankunft an den Hallen der Seligen vielleicht
nicht ohne den Halbgöttern auf kunfthiftorifcher
Nebelhöhe noch einen fehr derben letzten Hohnruf
hinaufzubrummen, fogleidi den freien freude-
erfüllten Wiefengründen zueilte, allwo er nun
mit den Geißern aller der Großen, die fein
Erdendafein zu einem glücklichen geftaltet haben,
köftliche Zwiefprache zu pflegen gedenkt. Ver-
mutlich wird man ihn fpäterhin in der Nähe
rebenumrankter Abhänge antreffen, deren Wachs-
tum er kritifchen Ernftes den auf Erden freudig
gefchlürften Weinen feiner fränkifchen Heimat
vergleicht und es mag in der Tat ein „Sdiau-
fpiel für Götter“ abgeben, wenn die kleine runde
Geftalt feine geliebten franzöfifchen ecrivains
zum Äntrittsehrenbegrüßungstrunk um fich ver-
fammelt.

Der Lebenskünftler Karl Voll ift es, der diefes
freundliche Gedenken auslöft. Der anregende
Gefellfchafter, der gleich dem alten Otto Erich
erft mit dem Schlage der Mitternachtftunde zu
neuer Rede und neuem Dürft erwachte, der —
freilich fchon vor langen Jahren — allmorgend-
lich den türkifeiten Fes auf dem Haupte, große
Brillengläfer auf der Nafe, am Fenfter feiner
Wohnung feltene Kakteen goß, um dem Vor-
übergehenden wie ein leibhaftiges Spißwegfches
Original zu erfdheinen. Der vortreffliche Lehrer,
deffen liebevolle Betrachtungsweife im wahren
Sinne feinen Schülern Herz und Auge zu öffnen
wußte wie feit Heinrich Brunn kaum ein anderer
in München. Der ftille unermüdlich fleißige Ge-
lehrte endlich, der in einfacher klarer Diktion
die perfönlichen Ergebniffe feines Schaffens und
feines unausgefetyten Verkehrs mit künftlerifdien
Problemen zu erzieherifch wertvollen Büchern
vereinigte, der Sammler, dem die Schäle einer

ausgezeichneten Bibliothek, einer erlefenen Gra-
phik in den Stunden der Muße eine beziehungs-
volle Erholung gewährten. Bis hieher ein un-
gewöhnliches, zum Höchften berufenes Dafein,
das dem fo begnadeten Menfchen wahrlich hätte
Genüge tun können. Es war das Verhängnis
im Leben Karl Volls, daß er dem mit feinem
elaftifchen Temperament aufs engfte verbunde-
nen rafenden Ehrgeiz, welcher feinen Taten den
Antrieb gegeben hat, mit einem für feine fon-
ftige Einficht geradezu unbegreiflichen Mangel
an Selbftkritik willenlos nachgab. Befonders im
Laufe des letzten Jahrzehnts von einer fchweren
Verbitterung überwältigt, ließ er fich oftmals zu
einer felbft von feinen Gegnern bedauerten po-
lemifchen Haltung hinreißen, welche feine Ver-
diente auf das fchwerfte gefchädigt und ihm —
in gleicher Weife zu feinem Nachteil wie zum
Nachteile der bayerifchen Staatsfammlungen —
nicht die erfehnte führende Stellung zu ge-
winnen geftattet hat, die er wie kein Anderer
in München zu beanfpruchen berechtigt war.

Denn Voll ift zweifelsohne einer der aller-
erften Gemäldekenner in Deutfchland gewefen.
Die echte Kennerfchaft, welche auf Erfahrung
und Schulung des Auges beruht und nicht auf
theoretifchem Wiffen, befaß er wie fehr wenige
feiner Fachgenoffen auf dem Katheder dank einer
zu diefem Behufe im ftändigen vertrauten Um-
gang mit bedeutenden Künftlern und auf zahl-
reichen Reifen ausgebildeten natürlichen Veran-
lagung. Schon lange Jahre bevor noch den
bayerifchen Mufeumsbeamten der erbetene Dien-
ftesurlaub zur Berliner Jahrhundertausftellung
abgefchlagen wurde, zog Voll zwifchen Hermann-
ftadt und Glasgow, Petersburg und Liffabon
hin und her, verfäumte keine wichtige Austei-
lung aus Privatbefit} und ertrug freudig die Stra-
pazen folcher mit perfönlichen Entbehrungen
unternommenen Fahrten. Da zeigten ßch aber
fogleich die Vorzüge und die Mängel feines Auto-
didaktentums in feiner Eigenwilligkeit und fei-
nem Hang zum Widerfpruch. Abhold aller Buch-
gelehrfamkeit, von jedem Äutoritätsgefühl frei,
ja wie ein grimmiger Staatsanwalt alle Schön-
rednerei als Lüge verurteilend, hatte er fich fein
eigenes kritifches Syftem nicht ganz ohne eine
leichte Erinnernng an die philologifche Methode,
von der er ausgegangen war — man hat fte
ihm gelegentlich zum Vorwurf gemacht — zu-
fammengebaut und diefes Syftem, welches in
feinen äfthetifchen Katechismus den Realismus
der holländifchen Kunft und für die Moderne
den Impreffionismus als alleinfeligmadiend auf-

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