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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 1/2
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Uhde-Bernays, Hermann: Karl Voll
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0035

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KARL VOLL

genommen hatte, duldete nur relative Einfchrän-
kungen, während es im Gegenfinne etwa bei
der Kunft der italienifchen Renaiffance feine ab-
lehnenden Konfequenzen zog, bis zu dem be-
rühmt gewordenen Sag vom Kitfchmaler Raffaei.
„Furchtlos und treu“ nach dem bayerifchen
Wappenfpruch kämpfte Voll mit glänzender Dia-
lektik, geiftreichen Paradoxen, und wenn es nicht
mehr anders ging, mit Pedanterie und Grobheit
feinen Gegner nieder. Das mochte im Gefpräch
angehen, wurde aber bei literarifchen Fehden
mehrfach unerfreulich, namentlich wenn die er-
wähnten menfchlichen Eigenfchaften feines Cha-
rakters jede andere Überlegung zurückdrängten.
Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß Voll
bei feinen Invektiven gegen Wilhelm Bode, deffen
gefährlichfter Gegner ergewefen ift, jedes Augen-
maß verloren hat, indem er neben den fcharf-
fichtig gezeigten Fehlern der feinem eigenen Tem-
peramente doch recht ähnlichen Perfönlichkeit
des Berliner Generaldirektors deffen ausgezeich-
nete Eigenfchaften überhaupt nicht erkennen
wollte. Bode fieht mit Voll einen Talbot aus der
Reihe feiner Feinde ausfcheiden.

Die fubjektive Ausfprache feiner Überzeu-
gung, die er felbft für ftreng objektiv hielt, war
dafür Karl Voll in feinen jungen Jahren fehr
zugute qekommen, zu der Zeit als er ftändiger
Kunftreferent der Münchener allgemeinen Zei-
tung war. Huf diefe Tätigkeit Volls muß nach-
drücklichft gewiefen werden. Unfere junge Mann-
fchaft hat ja gar keine Ahnung, mit welchen
Schwierigkeiten es noch vor zehn und befon-
ders erft vor zwanzig Jahren verknüpft war, in
einer vom guten Bürgeiftand einer foliden Reß-
denz gehaltenen ftaatsgetreuen Zeitung wie der
„Allgemeinen“ die Greueltaten moderner und
modernfter Kunft einem völlig unerzogenen Publi-
kum zu erklären. Dem Künftlerkreife Corinth-
Strathmann-Slevogt zugehörig, dem legtgenann-
ten in treuefter Lebensfreund fchaft verbunden,
unternahm Voll nichts Geringeres als den erften
Angriff auf den allmächtigen Klüngel Lenbachs,
und keine größere Freude konnte man ihm
machen, als durch die Anerkennung, daß er in
diefem ungleichen Kampfe gefiegt habe. Wer
jene Zeiten miterlebt hat, wird nicht ohne ftille
Heiterkeit an die Stürme im Wafferglafe zurück-
denken, die Vollfche Feuilletons in München ver-
mochten, wenn er wieder einmal gewagt hatte,
gar ein Mitglied der eben begründeten Sezeffion
zu loben! Voll hat fpäter felbft einmal (in der
Einleitung zu den vergleichendenGemäldeftudien)
angedeutet, was er im Grunde erreicht hat: „Die
Hilflofigkeit, mit der der Laie den Kunftwerken
und den Kritiken gegenüberfteht, • ift eine Art
von Unglück, das um fo fchlimmer ift als die

meiften fühlen, daß ße in künftlerifchen Fragen
nicht ftimmberechtigt find. Legterer Zuftand zeugt
aber fchon von einer namhaften Befferung.
Einftens verftand das große Publikum ebenfo-
wenig von Kunft wie heute; aber es wußte
nicht, daß es nichts verftand.“ Das Lebendige,
Entwicklungsfähige wabrzunehmen alfo befähigt
verteidigte Voll die realiftifche Richtung des
deutfchen Impreffionismus, deren Meifterfchaft er
richtig Slevogt zuerkannte. In feiner nach längft
erfolgter Sicherung des Slevogtfchen Ruhmes
(1912) erfchienenen Monographie über den Freund
hat er mit ftolzer Gefte den Schlußftrich unter
feine hiftorifch gewordenen Schlachtenberichte
gefegt.

Den verbindlichen Gewogenheiten, welche um
die Jahrhundertwende die bayerischen Hoch-
fchulen auszeichneten, gemäß wurde, trog man-
nigfacher Bedenken gegen die oben gefchilderte
journaliftische Betätigung Karl Volls feine Ha-
bilitation vom Münchener Polytechnikum mit
einer Schrift über „die Malerei der Brüder van
Eyck“ zugeiaffen (1900). Damit war ein unhei-
liges Haupt zu den akademifchen Weihen der
Kunftgefchichte gelangt, deffen Träger fich auch
noch rühmte, kunfthiftorifche Vorlefungen lediglich
als Hofpitant und Seminarien überhaupt nicht be-
fucht zu haben, der als geprüfter Neuphilologe
ßeben Jahre an Mittelfchulen gelehrt und mit einer
ftrengen Facharbeit (Über das Pronomen bei Des-
champs) promoviert hatte. Bald darauf würde
er an Stelle Bayersdorfers Konfervator der alten
Pinakothek und trat nach Rebers Penfionierung
deffen befcheidenere Erb|chaft an als ordentlicher
Profeffor am Polytechnikum und Honorarpro-
feffor an der Univerßlätin München. Durch diefe
Beförderung fchied er aus dem Mufeumsdienft
aus, betrachtete aber feine akademifche Würde
immer nur als Übergangspoften für die fehnlichft
erftrebte Berufung zum Nachfolger Rebers und
fpäter Tfchudis in der Leitung der bayerifchen
Staatsgalerien. Daher ift er als Dozent immer
etwas im Hintergrund ftehen geblieben, der Ko-
thurn der akademifchen Gebräuche mit ihren Feft-
reden und kollegialen Anerkennungsverficherun-
gen auf Gegenfeitigkeit war ihm höchft zuwider,
während er in kleinem Kreife, namentlich vor
dem dankbaren Auditorium handwerklicher Ver-
eine fich gerne hören ließ, wobei fein sonores
Organ und der Mangel einer Interpunktionsbe-
tonung, an die man erft gewohnt fein mußte,
die Klarheit des Vortrages empfindlich ftörten.
Seine ganze Vorliebe wandte fich dem Seminar
und feinen im Anfchluß an dasfelbe entftandenen
wiffenfchaftlichen Arbeiten zu. In jeder Beziehung
der völlige Antipode der verftandesmäßigen In-
terpretation Heinrich Wölfflins, neben welchem er

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