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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 1/2
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Uhde-Bernays, Hermann: Karl Voll
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0036

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KÄRL voll

zu wirken eingefeßt war, fuchte Voll auf feine
Schüler von feiner echten Begeiferung für künft-
lerifche Schönheit einTeilchen zu übertragen und
ihr Verftändnis, befonders durch Vergleichsmate-
rial und technifche Lehren, möglichft vor den Ori-
ginalen fortzubilden. Dabei trat er felbft ganz
zur Seite, die Sache entfchied, und im Dienfte
diefer wahrhaft guten Sache hat er feine „ver-
gleichenden Gemäldeftudien(l907)“ wie die beiden
Bände der „Entwiddungsgefchichte der bildenden
Kunft“ (1911 und 1914) niedergefchrieben, diefe
unperfönlichften Bücher perfönlidifter Prägung
und Methode. Wenn es möglich ift, kunftge-
fchichtliche Probleme unter geringfter Betonung
hiftorifcher und kulturhiftorifcher Bedingungen
dem Laien vorzuftellen und wie durch Suggeftion
auf Grund fcheinbar felbftverftändlicher Folge-
rungen den Lefer zur eigenen Löfung zu ver-
anlaffen, fo hat Voll dahin zuerft (troß feiner
rein äußerlichen Anlehnung an die Bücher von
Clermont Witt und Caffin) den Weg gewiefen.
Er geht alfo merkwürdigerweife auf das gleiche
Refultat aus, das Wölfflins „klaffifche Kunft“ an-
ftrebt, nur fucht er feine Diagnofe nicht von
innen heraus, fondern durch Herbeiziehung ana-
loger Fälle zu begründen. Diefe Bücher werden
noch für lange Jahre unentbehrlich bleiben, weil
ihre populäre Anlage, ihre leichte Verftändlich-
keit, die dennoch keine Efelsbrücken baut, und
die einheitliche Wärme des Vortrags zur Ver-
mittlung der vom Lefer erftrebten Kenntnis ein-
fach muftergültig zu nennen find. Unfere ohnehin
an brauchbaren Lehrbüchern der Kunftgefchichte
recht arme Literatur hat ihnen nur wenige Ge-
noffen, und diefe nur bei Einzelunterfuchungen
beftimmter Zeitperioden zur Seite zu ftellen.

Weniger glücklich ift Voll mit feinen fpe-
ziellen Forfchungen über die frühe holländifche
Kunft gewefen, die er im Anfchluß an feine Ha-
bilitationsfchrift mit feinem Buche über „die alt—
niederländifche Malerei“ (1906) und einer
Überficht der Werke Hans Memlincs (Klaffiker
der Kunft Band XIV, 1909) wiffenfchaftlich zu-
fammengefchloffen hat. Schon bei der erften
Arbeit, vor allem aber in dem Bande überMemlinc
zeigten fich im Hinblick auf die Sicherheit feiner
Kritik, welche z. B. ohne eine andere Begründung
als die der perfönlichen Laune Memlinc gleich
annähernd ein Dußend zweifellos echter Werke

abfprach, fchwere Mängel, und fo iß ihre Auf-
nahme, die allerdings den befchreibenden Par-
tien beider Bücher mit einftimmiger Anerkennung
gerecht wurde, in Fachkreifen eine geteilte ge-
blieben. Daß Voll fich nicht entfchloffen hat, über
das reizvolle und bisher ganz unbebaute Gebiet
der Tätigkeit der franzöfifchen und deutfchen
Bücherilluftratoren, denen feine unbeftrittene Vor-
liebe als Sammler galt, in erfchöpfender Weife
zu fchreiben, ift fchmerzlich zu bedauern. Nur
einige wertvolle Auffäße in „Kunft und Künft-
ler“ und die ßüditige Einleitung zu einem Bil-
deratlas „Frankreichs klaffifche Zeichner im
XIX. Jahrhundert“ (1914) geben eine befcheidene
Ahnung von den Kenntniffen, die er nach dem
wehmütig-feitfamen Vorwort zum Katalog für
die Verfteigerung feiner Bibliothek und feiner
Graphik fchon als Würzburger Ggmnafiaft zu er-
werben begonnen hat.

Während im vergangenen Frühjahr diefe reiche
Sammlung aufgelöft wurde, hatte ihren Befißer
fchwere Krankheit erfaßt. Der 50. Geburts-
tag, am 17. Juli, ging in den Ereigniffen des
Krieges faft fpurlos vorüber. Ein rafches Ende
hat langes Siechtum verhütet. Nun Karl Voll
nicht mehr ftreitet und fchmäht, nicht mehr
fchriftet und fttebt, dürfen einftige Genoffen, die
fich von ihm zurückzogen, ohne an feiner großen
Bedeutung zu zweifeln, wieder für ihn eintreten,
und nach reinlicher Scheidung feine tüchtigen
Eigenfchaften, fein kraftvolles Menfchentum rüh-
men. Und waren nicht doch am Ende viele
feiner Fehler, die mit kindlicher Offenheit zur
Schau kamen und fein Wirken um den ver-
dienten Erfolg brachten, waren fie nicht auch
dem völligen Mangel an diplomatifdher Gefchick-
lichkeit zuzufchreiben?! Indem wir diefe heikle
Frage offen laßen, dürfen wir vielleicht gerade
an der Bahre Karl Volls mit um fo ftärkerem
Nachdruck die Notwendigkeit betonen, daß die
deutfche Kunftwißenfchaft nach den fchweren
Verluften der leßten Jahre endlich wieder neue
Peinlichkeiten gewinne, die das Erbe ihrer
ausgezeichneten vorbildlichen Lehrer und Wah-
rer in würdiger Weife verwalte, und es nicht
mit der bodenlofen Leichtfertigkeit verfchleudere,
welche diefer Wißenfchaft ihren Rang neben
den anderen Disziplinen einzuhalten gegenwärtig
kaum mehr ermöglicht.

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