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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 15/16
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Biermann, Georg: Die deutsche Kunst in der Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0267

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DIE DEUTSCHE KUNST IN DER ZUKUNFT

Von GEOHG BIERMANN

Es follen unter (tiefer Überfchrift keine Prophe-
zeiungen ausgefprochen, noch äfthetifdhe Fragen
erörtert werden, die anderen Erwägungen Vor-
behalten bleiben. Äudi die trügerifchen Phantas-
magorien einer kommenden deutfdien Weltkultur
fcheiden aus angefichts jener Tatfachen, die das
unabweisbare Ergebnis diefes Weltenbrandes
find, einerlei wie fich am Schluß das Zünglein
an der Wage nach rechts oder links verfchieben
mag. Die nüchterne Überlegung wird hier und
dort an Vergleichen aus der hiftorifchen Ent-
wicklung eine Stüße finden, im ganzen aber
geben doch nur die Lehren der Gegenwart den
fieberen Ausblick in die Zukunft. Und da diefe
unfer Schickfal beftimmen wird, foll man fich
beizeiten daran gewöhnen, den Dingen ohne
Optimismus entgegenzutreten.

Alles, was in den lebten Jahrzehnten vor dem
Krieg beftand und geworden war, ift nicht mehr.
Die allgemeinen Grundlagen jener international
gefärbten deutfehen Kultur, die im Geiftigen
den Ausgleich zwifchen den Völkern erftrebte,
pnd zunächft vernichtet. Auch der günftigfte
Friede, der unferem Volke befchieden fein
mag, wird am Tage des beginnenden Wieder-
aufbaus da nicht mehr anknüpfen können,
wo der Weltenbrand eine fchöne Illufion auf
immer vernichtete. Aus dem Kampf und Blut-
vergießen diefer Tage erfteht ein anderes Volk
zum Bewußtfein. Und diefes Volk ift — noch
Jahre hindurch gefchmäht und gemieden in
der Welt — genötigt, fich felbft feinen Weg zu
fuchen. Der wird dornig und mühfelig fein.
Aber wenn die Vernunft die Kraft regiert,
muß er zum Ziele führen. Die Vernunft aber
heißt Kritik. Nur der liebt fein Vaterland von
Herzen, der die Wahrheit nicht fürchtet. Der
Krieg ift zu einem Teil das Ergebnis unferer eige-
nen Entwicklung gewefen (für den Hiftoriker ift
es immer abfurd, den fogenannten Urfachen
eines derartigen Dramas nachzugehen, wenn die
höhere weltgefchichtliche Einßcht mit zwingender
Logik den wahren Grund desfelben erkannt hat),
und es wird nach dem Frieden ein unfrucht-
bares, wenn auch vielleicht notwendiges Be-
mühen bleiben, immer wieder von neuem den
Anläßen nachzufpüren, die den Konßikt herauf-
befdiworen haben. Die Verhältniße, die ein-
mal da fein werden, können fich damit weder
zum Guten noch zum Schlechten verfchieben.
Aber eine Lehre für die Zukunft muß uns diefer
Krieg fein, damit unferen Enkeln die Schrecken
eines neuen wahnßnnigen Völkermordens er-
fpart bleiben möchten.

Es klingt paradox: Auch die Kunft hat ihren
Anteil an den Voraus feßungen diefes Welt-

brandes gehabt, zumal fie immer das treßendfte
und nie trügende Spiegelbild der Gefinnung
eines Volkes ift. Und die Kunft wird von dem
Tage an, wo der Frieden erkämpft ift, auch
der Schrittmeßer kommenden Glückes oder Miß-
gefchickes fein. Zwar ift ße kein Machtfaktor,
weder im fozialen noch im politifchen Sinne.
Sie ift nur Reagens einer Stimmung, aber troß-
dem nicht ohne eigene Werte bildende Kraß.
Sie entwickelt fich aus dem Gefühl und dem
Empfinden einer Zeit, aber ße ift felbft nicht
ohne Einßuß auf die pttliche Erziehung eines
Volkes und wird die Kräße desfelben um fo
höher treiben, je mehr ihrer Entfaltung Freiheit
gegeben, je mehr auch der Künftler felbft vor-
ausgreifend Erzieher und Wegweifer fein wird.
Ein Deutfchland, das nach dem Kriege leben-
digfter Kunftpßege vergäße und feine Intereßen
einfeitig nur im Merkantilen fuchte (das wären
die Zuftände wie in den Gründerjahren nach
Siebzig), wäre dem Verfall ausgeliefert und
müßte mit Recht ein Land der Barbaren ge-
nannt werden. Ein Deutfchland aber, das fein
Erbe wahrt und dem Schaffensdrang feiner
heften Jugend (diefer auch aus Eifen und Not
hervorgewachfenen Zukunft) die Freiheit und
Mittel gibt, fich den Weg in die heute noch
feindliche Welt zu bahnen, wird das Vaterland
der Menfchheit fein und alle Sünden fchlech-
ter Diplomaten wieder gutmachen. Das Ziel
ift weit gefteckt und der Weg mehr als be-
l'chwerlich. Weder die Zuftände in den Jahren
vor dem Krieg, noch die derzeitigen, nur durch
den Krieg zu erklärenden Verhältniße geben
Hoffnung auf Beßerung. Aber find erft einmal
die Dinge von hoher Warte aus richtig erkannt,
muß der Weg zum Ziele auch gefunden werden.

Grundfäßlich foll in diefen Zeilen weder einem
einfeitigen Nationalismus in der Kunft noch
einem berechtigten Optimismus für die Zukunft
das Wort geredet werden. Was hinter uns
liegt, fei am beften vergeßen, bis auf die we-
nigen Tatfachen, die die Stüßen unferer fchlim-
men Erfahrung find. Was der Krieg künftle-
rifch gezeitigt, darf ebenfowenig als Maßftab
der beginnenden Friedensarbeit gewertet wer-
den, und es muß fich erft einmal zeigen, ob und
inwieweit überhaupt das Erleben diefer leßten
Jahre in dem wirklich begnadeten Künftler eine
neue Weltanfchauung ausgelöft hat. Für die
Erkenntnis ift es nur wichtig zu wißen, daß die
Zuftände, wie fie ßch bis zum Ausbruch der
Kataftrophe entwickelt hatten, dem* Auslände
gegenüber niemals als Beweis der Selbftändig-
keit deutfehen Geiftes gelten konnten. Auch in
der Betätigung der Kunftpßege und des Kunft-

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