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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

DOI Heft:
Heft 15/16
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Lüthgen, Eugen: Die Sammlung Leo Kirch in Cöln, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0245

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DIE SAMMLUNG LEO KIRCH IN COLN

Mit 24 Abbildungen1 Von Priv.-Doz. Dr. Dr. E. LÜTHGEN (Schluß)

Tn gewiffer Weife mit fchwäbifdier Art verwandt find die Werke des oberrheinifchen Kunft-

kreifes. Eine fixende Madonna kennzeichnet deutlich diefe Zufammenhänge (Abb. 12).
Wenn auch Rückwand und Sockel nicht aus derfelben Werkftatt ftammt wie die Madonna,
fo fcheinen doch beide Teile fchon in alter Zeit zufammengehört zu haben, foweit aus
den paffenden Größenverhältniffen ein derartiger Schluß geftattet ift. Es fcheint, als fei
die Madonna in alter Zeit für die ältere Rückwand gearbeitet. Der ausgefprodiene
Sinn für die weiche, fließende Schönheit der Form läßt die Annahme gerechtfertigt er-
fcheinen, daß in diefem Werke Anregungen aus der italienifchen Renaiffance nachwirken,
etwa in der Art, wie pe in Oberdeutfchland des öfteren in den plaftifchen Schöpfungen
vom Ende des 15. Jahrhunderts auf treten. Da verfchiedene andere Merkmale für diefes
Urfprungsgebiet fprechen, ift es wahrfcheinlich, daß es fleh hier um die Arbeit eines
oberrheinifchen Meifters handelt. Die maßvolle und ruhige Behandlung des Gewandes
ift kaum in einer anderen Schule fo zu finden, wie am Oberrhein. Die weiche und
zugleich flnnliche Behandlung des Inkarnates, die vollen, in feiner Rundung verlaufenden
Formen des Körpers, die Betonung einer frifchen Gefundheit, einer freien Natürlichkeit
und endlich die überaus fchöne und ausdrucksvolle Bewegung der Arme und Hände: das
alles find Merkmale, die in der oberrheinifchen Bildnerei zu Haufe find. Die perfönlich
empfundene Art, mit der der vorgeneigte Kopf der Madonna zu den fprechend be-
wegten Händen in ein ebenfo feines wie feftes rhythmifches Verhältnis gebracht wird,
entfpricht ganz dem künftlerifchen Gefühl, das in einer der anmutigften weiblichen
Heiligen des Berliner Kaifer-Friedrich-Mufeums (Nr. 265), einer hl. Barbara, zutage tritt.
Das etwas breite Oval des Geflehtes, die vollen Wangen, die weiche, flnnliche Bildung
von Hals, Bruft und Schultern wirkt durchaus oberrheinifch. Selbft die flehende Ma-
donna des oberrheinifchen Lochner-Altares im Münfter in Freiburg i. Br. oder der zarte
Stimmungsgehalt in dem oberrheinifchen Verkündigungsrelief im*germanifchen National-
mufeum in Nürnberg laffen die gleiche künftlerifche Grundanfchauung erkennen, die die
Madonna der Sammlung Kirch auszeichnet. Auch die beiden Büften in Flachrelief in den
Rundnifchen des oberen Abfchluffes der Rückwand entfprechen in ihrer technifchen und
formalen Behandlung oberrheinifcher Art. So find vornehmlich die maffigen und doch
malerifch-weichen Formen des Haupthaares in diefer Weife fchon vorhanden in einzel-
nen der Engel im Freiburger Lochner-Altar. Auch die Art, aus großen, fich fcharf
voneinander abgrenzenden Flächen einen gefteigerten künftlerifchen Eindruck zu erzielen,
entfpricht oberdeutfeher Auffaffung, wie ja am klarften erwiefen wird durch die Gemälde
eines Hans Baidung Grin.

Auch der Neigung zum Genrehaften mag gedacht werden. Das anmutige Motiv der
fchwebenden Engel, die den Saum des Gewandes der Madonna tragen, ift aufs finn-
reichfle hier verwertet. Es find drei Engel, die in fchmuckvollfter Weife den Übergang
der weichen, auf dem Boden aufliegenden Faltenmaffen und des Sockels vermitteln.
Zugleich entfprechen diefe drei Geftalten je einer Seite des Sockels, auf dem die
Madonna wie die Rückwand ruhen.

Was die Zeit der Entflehung anbetrifft, fo deutet alles darauf hin, daß das Werk
noch im lebten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts vollendet wurde, etwa zur felben Zeit
wie die Barbara des Berliner Mufeums, eher früher als fpäter. Der Lochner-Altar ift

1 Die Photographien rühren alle her von Marcello Moroni, Cöln.

Der Cicerone, X. Jahrg., Heft 15/16.

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