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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 17/18
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Fuchs, Willy P.: Tizians deutsche Landschaftsarchitekturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0305

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TIZIÄNS DEUTSCHE LHNDSCHHFTS-

HRCHITEKTUREN Von WILLY P. FUCHS

T renetianifche Landfchaftsmalerei und deutsche Ärchitekturmotive fcheinen zunächft un-
® vereinbare Begriffe, und ich muß geftehen, daß mich felbft die Entdeckung vom
Gegenteil gerade bei Tizian aufs höchfte überrafchte. Ich verdanke diefe einem Zufall
bei Gelegenheit einer anderen Entdeckung, die ich — in Unkenntnis der Ergebniffe
kunftgefchichtlicher Forfchungen, die, wenigftens hgpothetifch, auch fchon zu diefem
Sdiluß gekommen — zu machen glaubte, nämlich, daß die Landfchaft in Giorgiones
berühmtem Bild „Ruhende Venus“ (K. Gemäldegalerie Dresden) unbedingt von Tizian
herrühren muß und zwar deshalb, weil das Motiv des architektonifdien Hintergrunds,
ein burgartiger Gebäudekomplex, in dreien feiner bedeutendften Gemälde (f. fpäter)
wiederkehrt, und ich es für gänzlich ausgefchloffen halte, daß ein Tizian ein von feinem
Konkurrenten, Giorgione, entlehntes Motiv mehrfach und nahezu wörtlich wiederholt
haben füllte1.

Doch dies nur nebenbei. Alfo Tizian verwendete für die landfchaftlichen Hinter-
gründe mit Vorliebe nordifche, fpeziell deutfche Ärchitekturmotive2 * 4 * * * und häufig fogar
neben den rein italienifchen des Vordergrundes (z. B. in „Begegnung von Joachim mit
Änna“, Scuola zu Padua). Pfychologifch kann ich mir diefe merkwürdige Gepflogen-
heit des größten Venetianers nicht erklären, um fo weniger, als er damit vereinzelt
dafteht unter allen feinen Zeitgenoffen, die ihre Architekturmotive ftets und ausfchließlich
der heimifchen Bauwelt entnahmen8.

Doch dies zu erforfchen, foll auch nicht meine Aufgabe fein. Ich will mir daran
genügen laffen, an Hand der Beifpiele die Tatfache nachzuweifen und meine Ver-
mutungen über Vorgänge bezw. Vorbilder zur Diskuffion zu flellen.

1 Dem widerfpricht fdieinbar, aber auch nur fcheinbar, die Wiederholung auch des figürlichen

Motivs in obengen. Venus des Giorgione durch Tizian in feiner Venus von Urbino (Uffizien,
Florenz). Denn Giorgione wie Tizian hatten als Schüler in G. Bellinos Werkftatt nach denselben
Modellen gearbeitet und fich dort wohl manches gleiche Motiv für ihre Studienmappen geholt,

fo auch das der ruhenden Frauengeftalt. Äber wie verfchieden haben es dann die Beiden fpäter
zu Bildern verarbeitet! Schon die Proportionen: Bei Giorgione der Körper etwa 9, bei Tizian
etwa 71/, Kopflängen und die Gefamthaltung: bei Giorgione klaffifch ruhig, bei Tizian realiftifch
bewegt.

4 Eine der wenigen Ausnahmen wäre das kürzlich vom Berliner Kaifer-Friedrich-Mufeum er-
worbene Bild „Venus mit dem Orgelfpieler“, deffen Hintergrundgebäude die Ärchitekturformen

etwa der nördlichen Lombardei, jedenfalls aber echt italienifchen Typ (einfacher Baukubus mit
flachem Dach) aufweifen. Ein Grund mehr für mich, um mir die Echtheit des Bildes als zweifel-
haft erfdieinen zu laffen, da alle feine Bilder mit ähnlichem Thema und aus derfelben Zeit an

diefer Stelle deutfche Motive zeigen. — Allerdings am meiften hat meinen Verdacht erregt die
gefuchte und ungefchidct dargeftellte Raffung des Vorhangs (der freihängende Zipfel oben rechts fcheint
dazu auserfehen, den Durchblick nach der großen Baumgruppe freizugeben oder umgekehrt, die
Baumgruppe dazu, als nachträglich eingefeßtes weil notwendiges Füllfel des fonft ftörend wirken-
den hellen Dreieckflecks zu dienen). Man vergleiche damit und gerade auf diefen Punkt hin den
berühmten echten Tizian gleichen Namens in Madrid. Kurz, ich neige der Änficht zu, daß der in
Südtirol „neuentdeckte* Tizian nur ein Werkftattbild ift wie andere Nachahmungen und Variationen
der Madrider Venus (die eine in Madrid, die andere in Dresden).

* Die engen Beziehungen der Renaiffancemaler zur Schwefterkunft der Architektur find ja be-
kannt. Man denke nur an Raffaels „Schule von Athen“, deren glänzende Architektur einen der
großartigften Raumentwürfe der Hochrenaiffance bildet. Und den Ärchitekturfkizzen Jakobo Bellinos
wollen Manche fogar einen beftimmenden Einfluß auf die Baukunft in Venedig und Florenz zu-

fdireiben.

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