Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

DOI Heft:
Heft 1/2
DOI Artikel:
Hildebrandt, Hans: Die Sammlung Kirchhoff in Wiesbaden
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0025

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE SAMMLUNG KIRCHHOFF IN WIES-
BADEN Mit sieben Abbildungen / Von HÄNS HILDEBRÄNDT

Binnen weniger Jahre, während des Krieges, ift diefe ungewöhnlich gehaltreiche
Privatfammlung entftanden. Ihr Wert ruht nicht allein in der glücklichen Auswahl
der Werke, er ift nicht einfach gleich der Summe aller in fie hineingetragenen Einzel-
werte: Er ift wefentlich höher zu veranfchlagen, weil diefe Gemäldegalerie, die noch
des weiteren Ausbaus harrt, die Entwicklung der modernen Malerei und Graphik mit
vorbildlicher Syftematik zeigt. Und noch eines ift wichtig. Alle in ihr vertretenen
Künftler, unter denen fich geläuterte Naturaliften, Impreffioniften und Expreffioniften
finden, find Deutfche. Faft fämtliche ftammen fogar aus Reichsdeutfchland, und nur
drei, der Schweizer Hodler und die öfterreicher Kars und Kokofchka, gehören lediglich
dem deutfchen Kulturkreis an. So enthüllt diefe Sammlung zu unferer frohen Genug-
tuung, daß die Kunft unferes Vaterlandes ftark und reich genug ift, um aus eigener
Kraft eine den Werdegang des neuzeitlichen Schaffens klärende Galerie von bleiben-
dem Werte einem verftändnisvollen Kunftfreund zu übermitteln, wenn auch zugegeben
werden muß, daß erft eine auch die Ausländer — Franzofen und Ruffen nicht zuleßt —
einbeziehende Sammlung unter parteilofer Auswahl des Beften die ganze Bedeutung
der modernen Kunft offenbart.

Als bedeutfamfter Vertreter des geläuterten Naturalismus tritt hier Wilhelm Trübner
auf. An fünf Gemälden, die zu den feinften und forgfältigft erwogenen diefes Könners
zählen, läßt fich die Entwicklung des Karlsruhers verfolgen. „Heidelberg in Gewitter-
ftimmung“ bezeugt, daß auch ein kleines Bild mächtig und groß wirken kann. Das
Architekturftück des Heidelberger Schloffes erfreut durch einen Linienreiz der Kompo-
fition, wie er nur wenigen Arbeiten aus den Tagen des Naturalismus eignet, und eine
fchönere Landfchaft als die aus der Seeon-Gegend mit ihrer köftlich reinen Luft und
ihrer Raumweite hat Trübner kaum gemalt. Die breite, beherrfchte Technik fpäterer
Tage offenbaren der „Offizier zu Pferde“ und das „Mädchen vor der Schaukel“, das
reizvolle und verwickeltfte Probleme der Freilichtmalerei fpielend löft. Hölzel, der
heute Expreffionift ift, lernen wir nur aus einem frühen Bilde kennen. Gleich Dills
herbftlichen Pappeln fucht fein Gemälde aus dem Dachauer Moos die für das Bild als
künftlerifchen Organismus notwendigen Elemente aus der fichtbaren Wirklichkeit heraus-
zuziehen. Hägens mittelmäßige „Waldecke“ fällt aus dem Rahmen der Sammlung
heraus. Auch der Münchner Sieck zählt noch ganz zu den Naturaliften. Von feinen
liebenswürdigen, freundlich-harmlofen bagrifdien Landfchaften hat Kirchhoff, als er zu
fammeln begann, zwei Stücke feiner Sammlung einverleibt. Damals erwarb er auch
mehrere jener fo gefchickt gemachten, aber auch fo oberflächlichen dekorativen Bild-
phantafien, die für die Arbeitsweife Friß Erlers fo charakteriftifch find.

An die Künftler eines geläuterten Naturalismus reihen fich entwicklungsgefchichtlich
die Impreffioniften, die dem Temperament und Inftinkt des Schaffenden, feiner perfön-
lichen Auffaffung vom Wefen der fichtbaren Wirklichkeit die entfcheidende Rolle über-
tragen. Drei Berliner Virtuofen des Könnens, denen fich der jüngere Max Beckmann
mit einem farbig befonders reizvollen kleinen Bilde gefeilt, vermitteln in der Wies-
badener Sammlung einen ftarken Begriff von der Kraft des deutfchen Impreffionismus:
Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt. Von ihnen allen wurden
auch Werke der Graphik aufgenommen. Das fchnelle Erfaffen des Malerifchen in der
Natur und die Fähigkeit ebenfo fchneller Wiedergabe, wie fie dem Altmeifter der
Berliner Sezeffion eignen, offenbaren fich aufs deutlichfte in den drei Gemälden wie

9
 
Annotationen