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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 1/2
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Roh, Franz: Ein neuer Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0024

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EIN NEUER P. BRUEGEL

wert [ein. Man [ollte den Kopf dem Pieter Bruegel la|Jen, deffen Primitivismen uns heute
vertrauter find. Was erft als Grobheit und Verzeichnung abgelehnt wurde, ift endlich als
Reduktionskraft und Formulierungsgewalt erkannt. Damit wird auch die Wertfchätjung
diefes großzügig geprägten Bauernfchlingels [teigen, den man nicht irgend einem [on[t ganz
ver[chwindenden Schüler der Eycks abgeben kann. Bei[piele Brüegels für abrupte Bild-
abfchlüffe wurden fchon oben angeführt. Mittelalterliche Wendungen gibt es genug, die
jenfeits der ausgeglichenen Renaiffance das 15. Jahrhundert fortfefeen. Man denke allein
an die Jammernden vorn auf der Kreuztragung, wo Magdalena faft noch in Rogers [o
berühmt gewefener Pofe klagt. Das Hirtenbild hat eine [o breit exprefllve, weithin
wirkende Kraft des Lineamentes und der Flädienftellung, daß für den ganzen Vortrag
die Renaiffance bereits vorauszufefjen ift. Die Eyck’s und ihre Schule find viel intimer
in der Schilderung eines Gewandes und Kopfes gewefen, weniger flächenftet und mehr
der Nahbetrachtung hingegeben. Die bei aller Einzelzeichnung betonte Großform der
Gefichtsfcheibe, der Gewandftreifen in Rot und vollem Gelb, alles läßt die plaftifch
durchzeichnendere Sprache des 15. Jahrhunderts vermiffen und gibt, zunächft vielleicht
leerer erfcheinend, [einen vollen Sinn erft auf einige Entfernung her. Dann wird es
aber, neben Eyck-Schüler gehängt, alles andere an Wucht erdrücken. Und die ver-
wegne Abftraktion von Arm und Händen, in jener Kunft noch nirgends auffindbar,
wird völlig finngemäß. Gerade Bruegel liebte es, aus [tiller Feinzeichnung plöfelich ins
ganz Summarifche hervorzuftoßen. Der Umfchlag konnte jeweils anderswo gefchehen
und war nie gegenftandsgebunden. Vergleiche hierfür miteinander die beiden Köpfe
auf der Wiener Zeichnung „Maler und Kenner“. Die unzerteilte Keulenform der
Hirtenglieder [tammt aus demfelben Geifte, der in die durchgeklärte Wiener Herbft-
landfchaft die radikal umriffnen Kühe fchob, der auf dem dortigen Seegemälde die
Wellenvielfalt jener großen Keilform unterteilte.

Gerade der Wiener Kardinal des Jan van Eyck, den man zum Vergleich heran-
gezogen hat, erweift die neue Nähe und Breite der Bildfüllung des 16. Jahrhunderts.
Wo wäre, [elbft bei einem Petrus Chriftus, die dreifte Selbftverftändlichkeit, [ich derart
mit dem ganzen Körper hinzufacken und uns dermaßen ins Geficht zu [ehen. Dort
wäre der Kopf gerade hoch genommen, nicht [o ins Ganze eines dumpfen Körper-
gefühls hineinbezogen, nie [o unflätig in Schultern und Rumpf hineingefteckt. Das
aber ift die individuelle Hauptformel Brüegels für das niedergebundene Dafein. Auch
der hier [elbftverftändliche Ausdruck wäre zurückgehaltener, [elbft die derb gewollten
Hirten des Goes wirken noch irgendwie verhalten und intellektuell bedingt gegen dies
tierifch breite Dafein. Der Vergleich mit der Bruegelfchen Serie von Bauernköpfen ift
erfchwert, weil diefe, erft im 17. Jahrhundert geftochen, fchon durch die eleganten
Hände der Rubensftecher gegangen find. Aber Kerle wie hinten auf unferem Bilde,
der Dudelfackpfeifer der Kirmes und der Bauernhochzeit find des Hirten Brüder. Daß
man das Bild venetianifch genannt hat, ift nur Ausdruck der Farbbreite, die gerade
Bruegel in [ich aufgenommen hatte. Ift man doch auch vor feinen Kinderfpielen und
dem Kampf zwifchen Faften und Fafching an frühe Venetianer erinnert. Die fetten,
fonor genommenen Streifen von Gewändern finden [ich bei dem Bellini-Kreis fowohl
als bei dem Hirten und den Geftalten jener Vielfigurenbilder.

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