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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 17/18
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Biermann, Georg: Max Pechstein
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0283

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Mit 16 Abbildungen auf 8 Tafeln
Von GEORG BIERMANN

Der Künftler Spricht zur Welt: „Du große geheimnisvolle Schöpfung, du unendliches
Gefäß von Freud und Leid, du Quelle des Lichtes und dumpf laftender Dämme-
rung, du ewige Kraft des Neugebärens, die du ohne Anfang und ohne Ende bift, ich
fühle mich als Teil von dir, ich empfinde deine Schönheit und vergehe unter den
Qualen deines Schmerzes, du bift mein einziges großes Erlebnis, feit ich zu denken,
lernte.“ Und die Welt redet alfo zum Künftler: „Wahr ift, du bift ein Teil von mir,
zwar nicht zeitlos wie ich felbft, aber ein Atom unter Myriaden deinesgleichen, die im
Laufe der Jahrhunderte die Kraft von mir emppngen, ein kleines, winziges Glied in
der Kette, die mein Schickfal umfchlingt. Ein Funke jener Urkraft, die mich erftehen
ließ und endlos durch den Weltenraum treibt, die Frühling, Sommer, Herbft und Winter
ift und Werden und Vergehen in eins, lebt auch in dir. Darum bift du berufen, ein
Gleichnis zu finden, darum fei dein Schaffen dem meinen gleich, zeuge aus Liebe und
verzehre dich im Haß, jauchze, taumle, verzweifle. Nie wirft du mich ganz begreifen,
aber aus jedem Schrei, der deiner Künftlerfeele fich entringt, aus jedem Werk, in dem
du mich aufs neue erlebft, zittern Unendlichkeiten nach, die mein Geheimnis ftreifen,
in denen mein Weltenfchickfal widerklingt.“

Und abermals fpricht der Künftler: „Erleben will ich dich, Welt, fo kurz auch mein
Dafein bemeffen fei. Hinter den Gebilden der Natur, die mein Auge alltäglich um-
kreift, liegen deine Wunder verborgen. Zu denen fteigt mein Geift hinab wie Fauft
zu den Müttern — da erkenne ich Urweltgeheimnis, da fühle ich traumhafte Wunder,
Berge der Luft und Täler von Schmerzen gefüllt, wiegende Mufik aus farbigen Bün-
deln voll Süße und Herbheit erklingend, Rhythmen von Kraft und Bewegung, hinter
denen Alltäglichkeit verßnkt. Mit taufend Fäden zieht es meine Seele zu dir. In der
wächft ein Berg von Erleben, der kreißen möchte in Weh und Luft. Ich bettle vor
dir, ich bete dich an, gib mir die Kraft, die Fülle der Gefichte zu bannen, dich künft-
lerifch im Symbol zu bezwingen, gib und fchenke mir dein einzig großes Erlebnis,
deines und deiner Kinder, der Bäume, Tiere und Menfchen, der ganzen fichtbaren
Natur.“ —

Und die Welt fchenkte dem Künftler Meißel und Stein, Palette, Farben und Lein-
wand und gefteigerte Leidenfchaft, aus Schmerzen geboren und hieß ihn fein Werk
beginnen.

Der erwachte aus tiefem Traum zu neuer Wirklichkeit. Das Leben der Alltäglich-
keit drang auf ihn ein; die Sorgen ums Dafein minderten feine Kraft. Er fchaute
rückwärts im Geifte und blickte der Gegenwart ins Auge. Die erfchien ihm gefättigt
und faul und voller Zufriedenheit über dem, was fich als Kunft in ihr breit machte.
Da war ja die Maffe der Künftler, die Notftandsgeburten von Akademien und Hoch-
fchulen, die vielen der allzuvielen, die ein Handwerk gelernt und diefes immer aufs
neue vor der Natur als dem ewigen Modell erprobten, zu deren Arbeit die kunftver-
ftändige Maffe Bravo rief, wenn es einem folchen Kopiften gelungen war, den Ein-
druck des Gefchauten möglichft treffend wiederzugeben. Unter diefen Könnern ein
halbes Dupend, die fich befonders als Virtuofen hervortaten und ihren eigenen „Stil"
gefunden hatten, die ewige Wiederholung der gleichen Handfchrift, das immer erneute
Plagiat von der Allmutter Natur. Diefe hatten es bis zu fchwindelnd hohen Preifen ge-
bracht, und das Heer ihrer Anhänger vermehrte fich täglich. Das waren die Namen,
die einmal in die Kunftgefchichte eingehen werden, zwar nicht im höchften Sinne als
Künftler aber doch als Mitempfinder einer Zeit, die frei von innerer Leidenfchaft war.

Der Cicerone, X. Jahrg., Heft 17/18

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