DER NEUE SALON VON GURLITT UND DIE
PECHSTEIN-AUSSTELLUNG
Während draußen auf Frankreichs zerftampfter
Erde Hindenburgs Schwert Weltgefchichte macht,
leben wir in Deutfchland, gefchüßt von dem
Menfchenwall unferer todesmutigen, zu den
höchjten Opfern bereiten Kämpfer das beinahe
friedensgemäße Leben einer Kulturnation, die
mit Ehren den Titel der Barbaren zu tragen
weiß. Und während es draußen um Sein oder
Nichtfein unferer völkifchen Exiftenz geht, voll-
zieht ßch künftlerifch in Deutfchland eine Wande-
lung, die — mag fie auch noch fo chaotifdi auf
den erften Blick anmuten — doch mit kühnem
Griff der Zukunft vorausgreift und alle Zeichen
kommender Entwicklung deutlich weift. Äuch
das Schickfal der deutfchen Kunft wird in diefem
Krieg entfdiieden; denn mit der neuen Welt-
geltung unferes Vaterlandes fteht und fällt zu-
gleich dasWefen unferer kulturellen Betätigung.
Weder die fammelnden Kriegsgewinnler noch die
„Hauffe“ auf dem Kunftmarkt find Wertmeffer
deffen, was eines Tages fein wird, wohl aber
können und werden unfere jungen fchaffenden
Talente die deutfche Kunft international ftabi-
lieren, wenn kluge und vorausblickende Politik
ihnen die Wege öffnet. — In diefem Sinne ift
es ein bedeutfames Zeichen der Zeit, wenn im
vierten Kriegsjahr in Berlin der altbewährte
Salon von Friß Gurlitt unter der glücklichen
Initiative feines jungen Inhabers der werdenden
Kunft ein neues Haus eröffnete, das dazu be-
rufen fcheint, deutfche Kunftgefchichte zu machen.
Ein Haus, fo feftlich und fchön, fo bis ins leßte
von künftlerifchem Gefchmack getragen, daß in
folchem Rahmen von felbft die Kunftwerke ein
neues eigenes Leben empfangen müffen. Unten
der langgeftreckte Oberlichtfaal in heiteren, lich-
ten Tönen und daneben, durch eine kurze Treppe
verbunden, die zu einem, von Pechfteins köst-
lichen Mofaiken gefchmückten Durchgang hinauf-
führt, der in klaffifchem Rot gehaltene Vorraum.
Und darüber im erften Stock eine kleine Flucht
von Gemächern, die — kurz gefagt — etwa das
Milieu eines vornehmen Sammlers in fich be-
greifen. Eine Wohnung mit Eß- und Wohn-
zimmer, mit einem Schlafzimmer und Baderaum,
in die Pechfteins bunte Glasfenfter myftifchen
Glanz hineintragen. — Das Ganze nicht mehr
und nicht weniger als ein Tempel der Kunft,
der Schrittmacher fein wird in die fchaffensfrohe,
tatendurftige Zukunft hinein. Das ift mit einem
Worte lebendigfte Kunftkultur, ein Etwas, an
dem fich Gefchmack und Glauben an die wir-
kenden Kräfte diefer Zeit aufrichten, künftle-
rifches Unternehmertum, das in feiner vorneh-
men Diskretion einfach vorbildlich wirkt. — Solche
Tat verdient Änerkennung. Sie ift in fchwerer
Zeit mit jenem kühnen, felbftvertrauenden Opti-
mismus durchgeführt worden, der fchließlich doch
aller Schwierigkeiten Herr geworden ift.
Pechfteins Stern fteht über diefem Haufe, mö-
gen auch von den Wänden des oberen Stock-
werks klafßfche Zeugen deutfcher Kunft (vor
allem Lovis Corinth, der nun doch einmal das
ftärkfte Temperament jener älteren Generation
neudeutfchen Schaffens ift) den Genießenden be-
grüßen. Pechftein, deffen geftaltende Phantaße
keine Grenzen kennt, hat jene Glasfenfter ge-
fchaffen, die, aus den Überlieferungen der Gotik
geboren, Klang und Myftik in gleichem Maße
verfchließen, Pechftein fchuf als bleibendes Doku-
ment feine auch für die ftrengfte Formel monu-
mentalen Einfühlens typifchen Mofaiken, in denen
die geheimnisvolle Urfprache chriftlich-naiven
Glaubens neu erftanden, und Pechftein gab auch
der Eröffnungsausftellung des neuen Haufes durch
die Überpcht über die jüngfte Ernte feiner Kunft
die Weihe. Diefe Äusftellung ift eine Über-
rafchung. Nicht als wenn wir je die Begabung
diefes Künftlers verkannt hätten — im Gegen-
teil, der Cicerone ift einer der erften gewefen,
der ßch in einer Zeit, als dies den antiquarifch
drefßerten, wohlbeftallten Hütern mufealer Weis-
heit noch als Lafter erfchien, für ihn und den
ganzen Kreis unferer Jungen mit Überzeugung
eingefeßt hat — aber an diefen Pechftein haben
wir doch fobald nicht geglaubt. Das ift —
wenn man nun mal das leidige Wort gebrauchen
muß — Exprefßonismus in beinahe klafßfcher
Vehemenz. Die Entwicklung diefes Künftlers
hat ßch im Siebenmeilentempo vollzogen; und
mag auch heute noch das Temperament unge-
bärdig erfcheinen wie je zuvor, es hat ßch durch-
gekämpft zur Klarheit, zur endgültigen Form.
Stilleben, Figurenbild und Landfchaft — die
leßtere in untergeordnetem Sinne, mehr als Mittel
denn als Objekt malerifcher Darftellung (dies
fehr im Gegen faß zu dem früheren Pechftein)
veranfchaulichen die leßte Einheit, aus der die
Summe neuer und ergreifender Gefichte erwächft.
Alles ift Reduktion auf die leßte Formel, die
Farbe das Mittel fymphonifcher Ausdruckmög-
lichkeit, Linien und Kurven haben ihr bildbe-
ftimmendes Dafein, und über allem fchwingt die
Phantaße eines gottbegnadeten Schöpfers.
Für Pechftein mag im Hinblick auf die Ällzu-
vielen, die heute noch abfeits ftehen, das Wort
gelten: „Ich lalfe Dich nicht, Du fegneft mich
denn“. Diefe Kunft will innerlich bezwungen
fein, und ihr foll, über diefe kurze Andeutung
hinaus, in einem nächßen Heft ein reich illu-
ßrierter Beitrag gewidmet fein, der diefes Wenige
ergänzen mag. Biermann-
215
PECHSTEIN-AUSSTELLUNG
Während draußen auf Frankreichs zerftampfter
Erde Hindenburgs Schwert Weltgefchichte macht,
leben wir in Deutfchland, gefchüßt von dem
Menfchenwall unferer todesmutigen, zu den
höchjten Opfern bereiten Kämpfer das beinahe
friedensgemäße Leben einer Kulturnation, die
mit Ehren den Titel der Barbaren zu tragen
weiß. Und während es draußen um Sein oder
Nichtfein unferer völkifchen Exiftenz geht, voll-
zieht ßch künftlerifch in Deutfchland eine Wande-
lung, die — mag fie auch noch fo chaotifdi auf
den erften Blick anmuten — doch mit kühnem
Griff der Zukunft vorausgreift und alle Zeichen
kommender Entwicklung deutlich weift. Äuch
das Schickfal der deutfchen Kunft wird in diefem
Krieg entfdiieden; denn mit der neuen Welt-
geltung unferes Vaterlandes fteht und fällt zu-
gleich dasWefen unferer kulturellen Betätigung.
Weder die fammelnden Kriegsgewinnler noch die
„Hauffe“ auf dem Kunftmarkt find Wertmeffer
deffen, was eines Tages fein wird, wohl aber
können und werden unfere jungen fchaffenden
Talente die deutfche Kunft international ftabi-
lieren, wenn kluge und vorausblickende Politik
ihnen die Wege öffnet. — In diefem Sinne ift
es ein bedeutfames Zeichen der Zeit, wenn im
vierten Kriegsjahr in Berlin der altbewährte
Salon von Friß Gurlitt unter der glücklichen
Initiative feines jungen Inhabers der werdenden
Kunft ein neues Haus eröffnete, das dazu be-
rufen fcheint, deutfche Kunftgefchichte zu machen.
Ein Haus, fo feftlich und fchön, fo bis ins leßte
von künftlerifchem Gefchmack getragen, daß in
folchem Rahmen von felbft die Kunftwerke ein
neues eigenes Leben empfangen müffen. Unten
der langgeftreckte Oberlichtfaal in heiteren, lich-
ten Tönen und daneben, durch eine kurze Treppe
verbunden, die zu einem, von Pechfteins köst-
lichen Mofaiken gefchmückten Durchgang hinauf-
führt, der in klaffifchem Rot gehaltene Vorraum.
Und darüber im erften Stock eine kleine Flucht
von Gemächern, die — kurz gefagt — etwa das
Milieu eines vornehmen Sammlers in fich be-
greifen. Eine Wohnung mit Eß- und Wohn-
zimmer, mit einem Schlafzimmer und Baderaum,
in die Pechfteins bunte Glasfenfter myftifchen
Glanz hineintragen. — Das Ganze nicht mehr
und nicht weniger als ein Tempel der Kunft,
der Schrittmacher fein wird in die fchaffensfrohe,
tatendurftige Zukunft hinein. Das ift mit einem
Worte lebendigfte Kunftkultur, ein Etwas, an
dem fich Gefchmack und Glauben an die wir-
kenden Kräfte diefer Zeit aufrichten, künftle-
rifches Unternehmertum, das in feiner vorneh-
men Diskretion einfach vorbildlich wirkt. — Solche
Tat verdient Änerkennung. Sie ift in fchwerer
Zeit mit jenem kühnen, felbftvertrauenden Opti-
mismus durchgeführt worden, der fchließlich doch
aller Schwierigkeiten Herr geworden ift.
Pechfteins Stern fteht über diefem Haufe, mö-
gen auch von den Wänden des oberen Stock-
werks klafßfche Zeugen deutfcher Kunft (vor
allem Lovis Corinth, der nun doch einmal das
ftärkfte Temperament jener älteren Generation
neudeutfchen Schaffens ift) den Genießenden be-
grüßen. Pechftein, deffen geftaltende Phantaße
keine Grenzen kennt, hat jene Glasfenfter ge-
fchaffen, die, aus den Überlieferungen der Gotik
geboren, Klang und Myftik in gleichem Maße
verfchließen, Pechftein fchuf als bleibendes Doku-
ment feine auch für die ftrengfte Formel monu-
mentalen Einfühlens typifchen Mofaiken, in denen
die geheimnisvolle Urfprache chriftlich-naiven
Glaubens neu erftanden, und Pechftein gab auch
der Eröffnungsausftellung des neuen Haufes durch
die Überpcht über die jüngfte Ernte feiner Kunft
die Weihe. Diefe Äusftellung ift eine Über-
rafchung. Nicht als wenn wir je die Begabung
diefes Künftlers verkannt hätten — im Gegen-
teil, der Cicerone ift einer der erften gewefen,
der ßch in einer Zeit, als dies den antiquarifch
drefßerten, wohlbeftallten Hütern mufealer Weis-
heit noch als Lafter erfchien, für ihn und den
ganzen Kreis unferer Jungen mit Überzeugung
eingefeßt hat — aber an diefen Pechftein haben
wir doch fobald nicht geglaubt. Das ift —
wenn man nun mal das leidige Wort gebrauchen
muß — Exprefßonismus in beinahe klafßfcher
Vehemenz. Die Entwicklung diefes Künftlers
hat ßch im Siebenmeilentempo vollzogen; und
mag auch heute noch das Temperament unge-
bärdig erfcheinen wie je zuvor, es hat ßch durch-
gekämpft zur Klarheit, zur endgültigen Form.
Stilleben, Figurenbild und Landfchaft — die
leßtere in untergeordnetem Sinne, mehr als Mittel
denn als Objekt malerifcher Darftellung (dies
fehr im Gegen faß zu dem früheren Pechftein)
veranfchaulichen die leßte Einheit, aus der die
Summe neuer und ergreifender Gefichte erwächft.
Alles ift Reduktion auf die leßte Formel, die
Farbe das Mittel fymphonifcher Ausdruckmög-
lichkeit, Linien und Kurven haben ihr bildbe-
ftimmendes Dafein, und über allem fchwingt die
Phantaße eines gottbegnadeten Schöpfers.
Für Pechftein mag im Hinblick auf die Ällzu-
vielen, die heute noch abfeits ftehen, das Wort
gelten: „Ich lalfe Dich nicht, Du fegneft mich
denn“. Diefe Kunft will innerlich bezwungen
fein, und ihr foll, über diefe kurze Andeutung
hinaus, in einem nächßen Heft ein reich illu-
ßrierter Beitrag gewidmet fein, der diefes Wenige
ergänzen mag. Biermann-
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