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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 1/2
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Roh, Franz: Ein neuer Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0022

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EIN NEUER P. BRUEGEL

den Blinden, obgleich auch fie mehr einbezogen find in Gefamtton und Hintergrund,
und leichter, federnder auftreten als etwa die Hochzeiter oder Bauerntänzer. Vor
allem aber find hier die Krüppel des Louvre von 1568 zu nennen, wo ebenfalls Figuren
des Vordergrundes das Bildganze beherrfchen. Hier offenbart fich voll die Schwierig-
keit, von der ich fpreche: man kann die robuft offene Flächenklarheit jener beiden
Bilder nicht ftellen neben das fchattenhaft verhüllende, fchleichende Raumleben folcher
Gebilde, in denen Bruegel fchon Vorahner der Richtung Brouwer-Rembrandt wird. Daß
hier nicht etwa das Dämmer als bloßer Gegenftand ausfchaltend zu erörtern ift, beweift
das andere datierte Bild diefes Jahres: die taghelle Darmftädter Landfchaft ift nichts als
Dunft und Sonne, worinnen Baum und Kreatur fich baden. Bruegel, deffen großartige
Äbftraktionskraft das heutige Publikum etwas ifolierend heraushebt (jedoch mit Recht
genießt), fucht in diefen Spätbildern andere Wege, den malerifch löfenden, form-im-
manenteren Stil des 17. Jahrhunderts. Man pellt, welch neuen Entwicklungsweg diefer
Große abkürzend eingefchlagen und gebahnt hätte, war ihm ein volles Lebensalter
befchieden gewefen. Unter den Kleinen, den Nachzüglern der nächften Zeit aber bleibt
nun dies Erbe liegen bis ins folgende Jahrhundert hinein.

Für die Datierungsfrage könnte auch Bruegels Verhältnis zu Pieter Äertfen wichtig
werden. Auf Beider Verwandtfchaft in gewiffen Farbverbindungen hat man fchon
früher aufmerkfam gemacht. Ihre Kunftwege fcheinen fich gekreuzt zu haben. Dabei
muß ich mir den zehn Jahre früher geborenen Äertfen als den Gebenden vorftellen,
fo fehr ihn Bruegel an Bedeutung überragt. Äertfen hatte bereits in den vierziger
Jahren des Jahrhunderts mit der großen monumentalifierenden Nahpgur eingefetjt,
wo z. B. Fügungen Michelangelos auf das realiftifche Sittenbild angewandt worden
waren (der Braunfchweiger Geßügelhändler ufw.). Dem Bruegel, der hingegen teils
von der vielfältigen Landfchaft, teils von dem kleinteiligen Bofch herkam, mußte impo-
nieren, wie hier in breiten Vordergrundswerten die Bildtafel maffenfchwer gefüllt wurde.
Die neuen mächtigen Gefüge der Michelangelo-Generation, die vom Süden her für den
ganzen Norden verbindlich werden füllten, mögen auf den ziemlich unberührt ver-
bliebenen Italienfahrer Bruegel erft nachträglich in derartiger Affimilation gewirkt
haben. Mit den großformigen Nahfigurenbildern Äertfens aber fcheinen fich gerade
Bruegels Kirmes und Bauernhochzeit zu berühren. Auch Einzelheiten fprechen für
den Zufammenhang, wie auf der Kirmes der Kopf rechts vom Mufiker und der am
linken Bildrand, auf der Hochzeit die herausfahrende Haltung des Mannes auf dem
Schemel in der Bildmitte, ebenfo das als Vorderzone aufgeftellte Krugftilleben. Mit
ähnlichen Arbeiten Äertfens, die fchon feit Jahren Vorlagen, pdh auseinanderzufetjen,
wird nicht Bruegels leljter Lebensfehritt gewefen fein. Nach Äufftieg aus der zeich-
nerifchen Vielfalt Bofch's fcheint jene Periode der kraftfehweren Zufammenballung und
des aggreffiven Vorftoßes von Figur und Raum eingetreten zu fein, bevor fich der
Raum als eine Einheit felbftverftändlich weitet und alles in ihm aufgeht.

2. Zufajj. — Der Knabenkopf des hier veröffentlichten Bildes fowie die oberften
Köpfe in der Tür links und rechts erinnern in Mund- und Nafenfchnitt an den Hirten-
kopf im Wiener Hofmufeum (Abb. 2). Solche Einzelheiten und die Art, wie des Jungen
Kopf in dem ähnlichen Kragen fijjt, vor allem aber, anftatt fie draußen zu verteilen,
die Einzwängung der Großen in die Tür, läßt an die Gedrängtheit jenes Hirtenbildes
denken, das man nicht unterzubringen weiß. Diefes Gemälde ift bald für venetianifdi
erklärt, bald als Bruegel genommen, bald dem 15. Jahrhundert als Eyckfchule zu-
gefchoben worden. Heute werden nur noch die zwei lebten Möglichkeiten erörterungs-

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