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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

DOI Heft:
Heft 13/14
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Lüthgen, Eugen: Die Sammlung Leo Kirch in Cöln, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0211

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DIE SAMMLUNG LEO KIRCH IN CÖLN

wohl in dem franzöfifch-belgifchen Grenz-
gebiet entftanden. (Abb. 2 u. 3.) Sie foll
in der Gegend von Mons erworben fein.

Darauf weift der charakteriftifche franzö-
fifdi- belgifche Formaufbau. Ihre fchöne
Großzügigkeit, die noch rundliche Fülle der
Formen läßt den ftarken Nachklang des
großen Stiles des 13. Jahrhunderts erkennen,
fo wie er fich in vollendeter Schönheit etwa
in der Schule von Troges in der Madonna
von Saceg findet. Das finnliche Schön-
heitsgefühl des 13. Jahrhunderts beftimmt
noch im wefentlichen den Aufbau der Figur.

Stand- und Spielbein, die Ausbiegung der
Hüfte, die anmutig gefenkte Schulter find
noch deutlich aus dem klar verftandenen,
organifchen Aufbau des Körpers hervor-
gegangen. Auch der hoheitsvoll-würdige
Ausdruck des Gefichtes wurzelt feinem
Wefen nach in der natürlichen Innigkeit der
Empfindungsweife des 13. Jahrhunderts.

Demgegenüber aber find die Merkmale
des dekorativ-flächenhaften Stiles der kom-
menden Zeit, des 14. Jahrhunderts, nicht zu
verkennen. Die großzügige Rundplaftik der
früheren Auffaffung hat fich fchon zu dem
weicheren, linearen Schwung des eigent-
lichen Stiles des 14. Jahrhunderts gewan-
delt. Alles dramatifch Angefpannte lockert
fich mehr und mehr zu einer lgrifchen
Weichheit, einer faß träumerifchen Emp-
findfamkeit. So ift auf die befchauliche
Innerlichkeit des Ausdrucks befonderer Wert
gelegt. Alle Formen find aus dem Rund-
plaftifdhen in gleitende, fchönheitsvolle
Linienzüge auf der zweidimenponalen
Fläche überfetjt, darin fchon deutlich das
graphifche Gefühl des dekorativen Linien- 2- Madonna aus der Gegend von Mons.

aufbaues des 14. Jahrhunderts erkennen
laffend. Die weichen Flächenformen des

Kinderkörpers, das fcharf gebogene Gelenk der rechten Hand, die fich feft der Maffe
des Körpers und des Gewandes anfehmiegt, find die pcherften Zeugen des neuen
Schönheitsfinnes.

Tro&dem lebt, namentlich in der überaus anmutigen Drehung des Körpers, die
verhaltene Ausdruckskraft des 13. Jahrhunderts. Dadurch gewinnt die Geftalt eine
fidlere Ruhe und eine klare Gefchloffenheit der Form, die infolge der belgifchen
Formanfchauung und der dadurch bedingten weichen Schönheit wie ein unrnittel-

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