DIE SAMMLUNG LEO KIRCH IN COLN
und der Oppenheimer Frauengeftalt. Die ftihöne
weiche Sinnlichkeit in der Bildung des fchlanken,
freien Halfes ift hier wie dort gleich. Und ebenfo
übereinftimmend wirkt die betonte Schräglage
des Gefichtes, das in feiner Fläche abfichtlich
aus der oberen Fläche der Bruft herausgebracht
wurde. In der Hallgartener Madonna gefchah
es, dem Motiv der ftehenden Madonna ent-
fprechend, durch ein liebliches Senken des Kopfes
der Mutter, die voll innigfter Teilnahme dem
Spiel ihres Kindes zufchaut. In der fixenden
Madonna ift das gleiche Motiv in fein Gegen-
fpiel verwandelt. Die Madonna, die ahnende
Mutter des Herrn, blickt fchmerzbekümmert em-
por. Sie läßt fich durch das tändelnde Spiel
des Kindes nicht täufchen. Eine Vorahnung
des fchmerzvollen Gefchicks ihres Sohnes läßt
fie wie in flehender Bitte, aber voll hoheits-
voller Würde fich ihrem Gott zuwenden. Wenn
in der jugendfrifchen, jungfräulich-mütterlichen
Geftalt der Hallgartnerin der zaubervolle Lieb-
reiz frifchefter und natürlichfter Jugend zum
Ausdruck gelangte, fo in der fitjenden Ma-
donna ein fchmerzbewegter, reifer Menfch, der
die lebten Ziele des Lebens trotj alles Leidens
Äbb. 5. Madonna vom Meifter von Hallgarten würdevoll zu erringen trachtet.
Das befagt, deutlicher als Einzelheiten der
Form, daß ein reifer Meifter, nicht ein jugend-
licher, diefes Werk fchuf; daß diefe fitjende Madonna der Sammlung Kirch ein Spät-
werk des Meifters ift, das in vielen Einzelheiten fich anders geben darf als die
fchönheitsvolle liebe Frau von Hallgarten. Wenn nun die Hallgartner Madonna etwa
um 1415 entftanden fein mag, fo dürfen wir annehmen, daß diefes neue Werk des
Meifters etwa 10 bis 15 Jahre fpäter, in das zweite bis dritte Jahrzehnt des 15. Jahr-
hunderls, hineinzufepen ift. Daraus erklärt fich der etwas fchwerere Stil diefer Arbeit,
erklärt fich die prachtvolle Körperlichkeit diefer Madonna, daraus das Erdhafte ihrer
lebensvollen Schönheit. Denn das waren gerade die Jahre, in denen am Mittelrhein
der Wirklichkeitsfinn der Zeit ftark im Wachfen begriffen war. Beachtet man diefen
Umftand, wird man kaum einen Zug finden, der nicht auf die Meifterhand des Hall-
gartner Künftlers hinwiefe. Die fchönen linienfrohen Faltenftege, ein lebensvolles Erbe
der großen Zeit des fpäten 14. Jahrhunderts, find in der fifeenden Madonna zu breiten,
beweglichen Faltenzügen geworden, die pch in rundplaftifcher Fülle von den reich-
bewegten Faltentiefen abheben. Der prunkvolle Formreichtum der kommenden Zeit,
der bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts fich häupig fteigert, hat eine größere Fülle der
Faltenmotive bewirkt. Aber noch nicht vermag diefe Reichhaltigkeit die dem Hall-
gartner Meifter entfprechende Großzügigkeit des Formaufbaus zu überkleiden. Nur in
den Binnenformen des Gewandes über den Knien und bei den auflagernden Stoff-
fäumen auf dem Sockel ift eine beginnende Schwerfälligkeit zu ahnen. In der Art,
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und der Oppenheimer Frauengeftalt. Die ftihöne
weiche Sinnlichkeit in der Bildung des fchlanken,
freien Halfes ift hier wie dort gleich. Und ebenfo
übereinftimmend wirkt die betonte Schräglage
des Gefichtes, das in feiner Fläche abfichtlich
aus der oberen Fläche der Bruft herausgebracht
wurde. In der Hallgartener Madonna gefchah
es, dem Motiv der ftehenden Madonna ent-
fprechend, durch ein liebliches Senken des Kopfes
der Mutter, die voll innigfter Teilnahme dem
Spiel ihres Kindes zufchaut. In der fixenden
Madonna ift das gleiche Motiv in fein Gegen-
fpiel verwandelt. Die Madonna, die ahnende
Mutter des Herrn, blickt fchmerzbekümmert em-
por. Sie läßt fich durch das tändelnde Spiel
des Kindes nicht täufchen. Eine Vorahnung
des fchmerzvollen Gefchicks ihres Sohnes läßt
fie wie in flehender Bitte, aber voll hoheits-
voller Würde fich ihrem Gott zuwenden. Wenn
in der jugendfrifchen, jungfräulich-mütterlichen
Geftalt der Hallgartnerin der zaubervolle Lieb-
reiz frifchefter und natürlichfter Jugend zum
Ausdruck gelangte, fo in der fitjenden Ma-
donna ein fchmerzbewegter, reifer Menfch, der
die lebten Ziele des Lebens trotj alles Leidens
Äbb. 5. Madonna vom Meifter von Hallgarten würdevoll zu erringen trachtet.
Das befagt, deutlicher als Einzelheiten der
Form, daß ein reifer Meifter, nicht ein jugend-
licher, diefes Werk fchuf; daß diefe fitjende Madonna der Sammlung Kirch ein Spät-
werk des Meifters ift, das in vielen Einzelheiten fich anders geben darf als die
fchönheitsvolle liebe Frau von Hallgarten. Wenn nun die Hallgartner Madonna etwa
um 1415 entftanden fein mag, fo dürfen wir annehmen, daß diefes neue Werk des
Meifters etwa 10 bis 15 Jahre fpäter, in das zweite bis dritte Jahrzehnt des 15. Jahr-
hunderls, hineinzufepen ift. Daraus erklärt fich der etwas fchwerere Stil diefer Arbeit,
erklärt fich die prachtvolle Körperlichkeit diefer Madonna, daraus das Erdhafte ihrer
lebensvollen Schönheit. Denn das waren gerade die Jahre, in denen am Mittelrhein
der Wirklichkeitsfinn der Zeit ftark im Wachfen begriffen war. Beachtet man diefen
Umftand, wird man kaum einen Zug finden, der nicht auf die Meifterhand des Hall-
gartner Künftlers hinwiefe. Die fchönen linienfrohen Faltenftege, ein lebensvolles Erbe
der großen Zeit des fpäten 14. Jahrhunderts, find in der fifeenden Madonna zu breiten,
beweglichen Faltenzügen geworden, die pch in rundplaftifcher Fülle von den reich-
bewegten Faltentiefen abheben. Der prunkvolle Formreichtum der kommenden Zeit,
der bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts fich häupig fteigert, hat eine größere Fülle der
Faltenmotive bewirkt. Aber noch nicht vermag diefe Reichhaltigkeit die dem Hall-
gartner Meifter entfprechende Großzügigkeit des Formaufbaus zu überkleiden. Nur in
den Binnenformen des Gewandes über den Knien und bei den auflagernden Stoff-
fäumen auf dem Sockel ift eine beginnende Schwerfälligkeit zu ahnen. In der Art,
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