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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 15/16
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Lüthgen, Eugen: Die Sammlung Leo Kirch in Cöln, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0261

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DIE SAMMLUNG LEO KIRCH IN CÖLN

kann. Denn durchaus ftreng im Dreieckauf-
bau ift das Gewand und der Körper Gott-
vaters in die Mitte der Rückwand des Thron-
fitjes angeordnet. Nur die Neigung des Haup-
tes und das Überfdrneiden der Silhouette
durch den Körper Chrifti zeigt, daß die ge-
fühlsmäßige Formanfchauung der ftarken go-
tifchen Überlieferung noch nachlebt. Da der
Thronfitj felbft bis in alle kleinen Profile
hinein und das fparfam-fchöne Maßwerk rein
gotifche Formen zeigt, muß man an einen
Kunftmittelpunkt denken, in dem innerhalb
des gotifchen Denkens vereinzelt fehr fort-
fchrittliche Bildungen möglich find. Das war
am Niederrhein der Fall, wo aus dem fort-
fchrittlichen nordfranzöfifchen und belgifchen
Einflußgebiete häufig fehr frühzeitig ein keim-
haftes Renaiffancegefühl fich durchzufetjen
vermochte. Auch die Einzelformen entfprechen
der Art des oberen Niederrheines, wo neben
weichen, fich rundenden Gewandflächen häufig
faß flächenhafte Formwerte ftehen, die der
ausgefprochenen Vorliebe für die verfchleier-
ten und verfließenden Formen einer malerifdi-
illufioniftifchen Raumanfchauung entfprechen.

Kurz vor der Wende des 16. Jahrhunderts
mag diefe Arbeit entftanden fein.

Der Niederrhein bedeutet das Grenzgebiet
der deutfehen Plaftik, das die Aufnahme fran-
zöfifch-belgifch-holländifcher Formen der deut-
fehen Kunft übermittelt. Deshalb ift es ge-
rade für eine Cölner Sammlung bedeutungs-
voll, vorbildliche Werke diefer Kunftkreife zu Abb. 22. Urfula. Flandrifch.

befitjen. Die faft lebensgroße Geftalt der

hl. Urfula in der Auffaffung der Schutjmantel-Darftellung der Madonna, ift, abgefehen
von den fehlenden Händen, von ausgezeichneter Erhaltung (Abb. 22). Namentlich die
emailleartige Schönheit und Glätte der Polychromie ift bemerkenswert.

Troßdem es fleh um ein noch fpätgotifches Werk der Brügger Schule aus der Wende
vom 15. zum 16. Jahrhundert handelt, ift diefe reife Kompofition getragen von dem
fchönheitsdurftigen Geftaltungswillen der Renaiffance. Die malerifche Auffaffung der
vorhergehenden Jahre fteigert fich hier in großzügiger Formvereinfachung zur ge-
fammelten Gefchloffenheit einheitlich blockhafter Wirkung. In diefer Geftalt hat das
Bewußtfein von dem künftlerifchen Werte gleitender, fchön gefchwungener Linienzüge
eine edle Größe der Form und eine ftille Ruhe innerer Befchaulichkeit gezeitigt. Die
fchwingenden, fcharf gefchnittenen Gewandftege geben den weichen Rundungen der
plaftifchen Formen einen eindringlichen Rhythmus der Bewegung, zugleich auch der
Kompofition eine ordnungsvolle Gliederung.

Der Cicerone, X. Jahrg., Hefl 15/16

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