MAX PECHSTEIN
im Rahmen dieses gewaltigen Naturgefchehens, das die Elemente des Himmels und der
Erde tragen, fo klein, fo nebenfächlich und unbedeutend, daß man ihrer beinahe von
felbft vergißt. Es gibt da von ihm z. B. aus dem Jahre 1911 in Breslauer Privatbefiß
ein Bild von der kurifchen Nehrung „Rettungsboot“ betitelt. Im Hintergründe in rotem
Feuer der Schuppen mit zwei dunklen gähnenden Öffnungen, aus denen die Fifcher
foeben das Rettungsboot herausgeholt, das ein Dußend winzige Menfchen vorwärts-
fchieben wie Ameifen etwa, die einen Stein vorwärtswälzen möchten. Von unten
her rollt die See brandend heran. Graue Sturmesftimmung über dem Ganzen. Man
fühlt den Kampf der Elemente und das Rettungsboot erfteht von felbft zum Symbol.
An dem klammert fich die Hoffnung feft, daß es ihm gelingen möchte, irgend ein halb
fchon Verlorenes auf den tanzenden Wogen da draußen zu bergen. Das nenne ich
dramatifche Kunft, die aus dem Geift geboren ift. Oder ein anderes Bild: „Fabriken“
von 1912 in Berliner Privatbefiß. Zwifchen Bergen, die Schlacke und Afche aufge-
türmt, im fchmalen Tale eine Gruppe von Häufern, vielleicht Arbeiterwohnungen. Weißer
Rauch über den Schornfteinen. Im Hintergründe rechts drei mächtige Kamine, die
dunklen Qualm zum Himmel fenden, links über dem einen Hügel ragen noch aus
weiter Ferne die Spitjen von Schornfteinen empor. Die Atmofphäre wie das Leben
weiß zifchend, grau, dunkelfchwarz. — Man atmet den Rhythmus der Arbeit, emp-
findet hinter den Mauern der Häufer Proletarierfchickfale und weiß, daß diefes bro-
delnde Meer der Effen und Hochöfen vom Leben feinen Zoll verlangt. Wenige Kur-
ven und Graden, flüchtige Akzente hier und dort, und aus dem Innerften der Künftler-
feele erfteht ein im Geifte erfchautes Bild. In diefer Akzentuierung der dramatifchen
Momente, in diefer Betonung des fogenannten Stimmungselementes unter Ausfchei-
dung des nur Zufälligen liegt das Geheimnis • expreffiver Kunftweife verfchloffen. Man
mag die gefamte Landfchaftsmalerei Pechfteins aus den letzten fünf Jahren durchgehen,
überall begegnet diefe Vergeiftigung des Naturgefchehens, die einem ftarken perfön-
lichen Gefühl diefer Künftlerfeele entwächft. Daß daneben im Sinne des echten
Malers die Farben an fich Träger diefes dramatifchen Lebens find, daß die wunder-
vollen Kontrafte bildbeftimmend auch auf den geiftigen Aufbau des Werkes wirken,
ift eine Selbftverftändlichkeit, die kaum hefonders hervorgehoben zu werden braucht.
Und ähnlich die Stilleben. Sind die Landfchaften Pechfteins erfüllt von dramatifcher
Leidenfchaft, fo werden feine Blumen und Fruchtftücke lyrifche Kunft, bei der die Farbe
ganz den Geift der gebundenen Rede vertritt. Blaue Anemonen, die aus einer exo-
tifchen Vafe hervorranken, roter Mohn, der fich dem farbigen Klang von Gelb und
Violett vermählt, Feuerlilien, die glühender Fayence entwachfen oder gelbe Tulpen, die
in blauer Delfter Vafe ftehen — nicht zu reden von den Fifchen, Äpfeln und Kür-
biffen — auf diefen Bildern hat Pechfteins Malerei den Grad gedämpfter, fchwebender
und leife verklingender Melodik. Hier empfindet man am ftärkften audi jene male-
rifche Kultur, die man fo oft unferen Jungen abfprechen wollte. Freilich der Geift der
alten Holländer, die einmal die Meifter der „Nature morte“ gewefen, lebt in diefen
Bildern nicht mehr. An Stelle der Tonmalerei, der fogenannten Valeurkunft ift das
Prinzip der reinen Farbe, das Gefühl für farbige Gegenwerte getreten, und wenn jene
Alten ohne befondere Rfickficht auf den Raum Tafelmalerei im beften Sinne des Wortes
gaben, fo ift bei dem modernen Künftler das Gefeß der Fläche, der Meifterung des Raumes
durch die Bildeinheit oberftes Prinzip. Nicht die Freude an dem farbigen Abglanz des
Lebens ift allein beftimmend für das Schaffen, fondern die Materie der Dinge in ihrer
malerifchen Wechfelwirkung, in ihrem Verhältnis zur Wand. Ein geiftiges Fluidum
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im Rahmen dieses gewaltigen Naturgefchehens, das die Elemente des Himmels und der
Erde tragen, fo klein, fo nebenfächlich und unbedeutend, daß man ihrer beinahe von
felbft vergißt. Es gibt da von ihm z. B. aus dem Jahre 1911 in Breslauer Privatbefiß
ein Bild von der kurifchen Nehrung „Rettungsboot“ betitelt. Im Hintergründe in rotem
Feuer der Schuppen mit zwei dunklen gähnenden Öffnungen, aus denen die Fifcher
foeben das Rettungsboot herausgeholt, das ein Dußend winzige Menfchen vorwärts-
fchieben wie Ameifen etwa, die einen Stein vorwärtswälzen möchten. Von unten
her rollt die See brandend heran. Graue Sturmesftimmung über dem Ganzen. Man
fühlt den Kampf der Elemente und das Rettungsboot erfteht von felbft zum Symbol.
An dem klammert fich die Hoffnung feft, daß es ihm gelingen möchte, irgend ein halb
fchon Verlorenes auf den tanzenden Wogen da draußen zu bergen. Das nenne ich
dramatifche Kunft, die aus dem Geift geboren ift. Oder ein anderes Bild: „Fabriken“
von 1912 in Berliner Privatbefiß. Zwifchen Bergen, die Schlacke und Afche aufge-
türmt, im fchmalen Tale eine Gruppe von Häufern, vielleicht Arbeiterwohnungen. Weißer
Rauch über den Schornfteinen. Im Hintergründe rechts drei mächtige Kamine, die
dunklen Qualm zum Himmel fenden, links über dem einen Hügel ragen noch aus
weiter Ferne die Spitjen von Schornfteinen empor. Die Atmofphäre wie das Leben
weiß zifchend, grau, dunkelfchwarz. — Man atmet den Rhythmus der Arbeit, emp-
findet hinter den Mauern der Häufer Proletarierfchickfale und weiß, daß diefes bro-
delnde Meer der Effen und Hochöfen vom Leben feinen Zoll verlangt. Wenige Kur-
ven und Graden, flüchtige Akzente hier und dort, und aus dem Innerften der Künftler-
feele erfteht ein im Geifte erfchautes Bild. In diefer Akzentuierung der dramatifchen
Momente, in diefer Betonung des fogenannten Stimmungselementes unter Ausfchei-
dung des nur Zufälligen liegt das Geheimnis • expreffiver Kunftweife verfchloffen. Man
mag die gefamte Landfchaftsmalerei Pechfteins aus den letzten fünf Jahren durchgehen,
überall begegnet diefe Vergeiftigung des Naturgefchehens, die einem ftarken perfön-
lichen Gefühl diefer Künftlerfeele entwächft. Daß daneben im Sinne des echten
Malers die Farben an fich Träger diefes dramatifchen Lebens find, daß die wunder-
vollen Kontrafte bildbeftimmend auch auf den geiftigen Aufbau des Werkes wirken,
ift eine Selbftverftändlichkeit, die kaum hefonders hervorgehoben zu werden braucht.
Und ähnlich die Stilleben. Sind die Landfchaften Pechfteins erfüllt von dramatifcher
Leidenfchaft, fo werden feine Blumen und Fruchtftücke lyrifche Kunft, bei der die Farbe
ganz den Geift der gebundenen Rede vertritt. Blaue Anemonen, die aus einer exo-
tifchen Vafe hervorranken, roter Mohn, der fich dem farbigen Klang von Gelb und
Violett vermählt, Feuerlilien, die glühender Fayence entwachfen oder gelbe Tulpen, die
in blauer Delfter Vafe ftehen — nicht zu reden von den Fifchen, Äpfeln und Kür-
biffen — auf diefen Bildern hat Pechfteins Malerei den Grad gedämpfter, fchwebender
und leife verklingender Melodik. Hier empfindet man am ftärkften audi jene male-
rifche Kultur, die man fo oft unferen Jungen abfprechen wollte. Freilich der Geift der
alten Holländer, die einmal die Meifter der „Nature morte“ gewefen, lebt in diefen
Bildern nicht mehr. An Stelle der Tonmalerei, der fogenannten Valeurkunft ift das
Prinzip der reinen Farbe, das Gefühl für farbige Gegenwerte getreten, und wenn jene
Alten ohne befondere Rfickficht auf den Raum Tafelmalerei im beften Sinne des Wortes
gaben, fo ift bei dem modernen Künftler das Gefeß der Fläche, der Meifterung des Raumes
durch die Bildeinheit oberftes Prinzip. Nicht die Freude an dem farbigen Abglanz des
Lebens ift allein beftimmend für das Schaffen, fondern die Materie der Dinge in ihrer
malerifchen Wechfelwirkung, in ihrem Verhältnis zur Wand. Ein geiftiges Fluidum
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