Die „Tocharische“ Epoche der
Kunst von Kutscha (Ostturkistan)
Mit 26 Abbildungen auf 9 Tafeln und 10 Textabbildungen Von ERNST WALD SCHMIDT
AN drei Stellen in der Umgebung von Kutscha hat die dritte deutsche Turfan-
XXexpedition Grabungen veranstaltet: in Qumtura, Qyzil und Kirisch. Die wich-
tigste dieser Stätten ist bei weitem Qyzil, dessen Ming-öi (1000 Zellen oder
Kammern-Viharas) einer Zeit vor 700 angehören und uns die bedeutendsten
Funde der tocharischen Periode geschenkt haben. Stupas oder Freibautempel sind
hier nicht aufgedeckt worden. Religiöser Kult und tägliches Leben der Mönche
spielte sich in den Höhlenklöstern und -tempeln ab, welche, in den weichen
Sandstein des Gebirges eingehauen, in großer Anzahl (Ming-öi) und durch Gänge
verbunden beieinander lagen. — Auf Taf. 1, a werfen wir einen Blick durch das
Fenster einer Mönchszelle der Ming-öi zu Qyzil auf die Ostseite des Muzart-Tales.
Schroff und kantig in das Tal vorgestreckt, wird der Fels von den Fluten des
Stromes umbrandet. Die Hügel des Vordergrundes, über die unser Blick in das
Tal gleitet, fallen dem Fluß zu steil ab und sind ein Teil einer das Tal im Bogen
umrahmenden Bergkette, welche unten an den Abhängen eine Fläche frucht-
baren, vom Flusse im Laufe der Zeit abgelagerten Bodens freiläßt. Hier blühen
zu ihrer Zeit Haine von Pfirsich- und Aprikosenbäumen, welche einen lieblichen
Anblick gewähren können. Unser Auge aber fällt nur auf die öden Ufer der
rechten Flußseite, um sich dann zu den aufragenden Bergreihen einer Gebirgs-
landschaft zu erheben. — „Freundliche Erinnerungen an arbeitsreiche glühende
Sommerwochen! Aber dieselben Wochen brachten Erdbeben und furchtbare
tosende Sandstürme. In unglaublicher Schnelligkeit wird der rotglühende Himmel
schwarz wie die Nacht. Ein schneidender Pfiff ertönt und furchtbare Windstöße
und Wirbel werfen ungeheure Massen von Sand über die Wege. — Alles ist wie
dämonisch durchtobt1.“—In drei Anlagen sind die Höhlen in sich hintereinander
erhebende Reihen dieser Berge des Nordufers eingehauen. Unser Fenster liegt
in der zweiten Anlage, zu der ein „schwindelerregender schmaler Paß“ hinauf-
führt. Von Schluchten unterbrochen (Taf. 2, a), aus denen bei plötzlichem Regen
in wenigen Augenblicken schäumende Wildbäche hervorbrechen, steigen die zer-
klüfteten Felswände auf, eingemeißelt in ihnen die Tempel und Wohnungen der
in eine romantische Einsamkeit zurückgezogenen Mönche.
Tempel und Anlagen in Felsen einzuhauen, ist in Indien seit früher Zeit üblich;
doch nur in Baktrien finden sich Anlagen baulich ähnlichen Charakters wie die
des nördlichen Ostturkistan, ein direkter indischer Einfluß ist in der Architektur
der Bauten nicht zu verspüren. Wie mancher der späteren chinesischen Indien-
pilger den weiten, aber bequemeren Umweg über Baktrien nicht scheute, wird auch
der Buddhismus bei seinem Vordringen nach Osten diesen Weg bevorzugt haben.
Daneben ergoß sich ein schwächerer Propagandastrom über Kaschmir in den
Süden Ostturkistans. — Vier Hauptformen von Grottentempeln lassen sich unter-
scheiden. Wir werden diese Typen bei Besprechung der „Pfauen-“, „Seefahrer-“,
„Hippokampen“-Höhle und der „Höhle der Maya“ betrachten.
Malereien aus dem eigentlichen Gandharagebiet sind bisher nicht gefunden
worden. Nur die manchmal in Resten erhaltene Bemalung der Plastiken und
vor allem die Schilderungen der chinesischen Indienpilger lassen Rückschlüsse
auf ihre Bedeutung zu. Als einen Ersatz haben wir nun die in Ostturkistan in-
1 Sandstürme sind in der Gegend von Turfan überaus häufig.
Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 18
41
879
Kunst von Kutscha (Ostturkistan)
Mit 26 Abbildungen auf 9 Tafeln und 10 Textabbildungen Von ERNST WALD SCHMIDT
AN drei Stellen in der Umgebung von Kutscha hat die dritte deutsche Turfan-
XXexpedition Grabungen veranstaltet: in Qumtura, Qyzil und Kirisch. Die wich-
tigste dieser Stätten ist bei weitem Qyzil, dessen Ming-öi (1000 Zellen oder
Kammern-Viharas) einer Zeit vor 700 angehören und uns die bedeutendsten
Funde der tocharischen Periode geschenkt haben. Stupas oder Freibautempel sind
hier nicht aufgedeckt worden. Religiöser Kult und tägliches Leben der Mönche
spielte sich in den Höhlenklöstern und -tempeln ab, welche, in den weichen
Sandstein des Gebirges eingehauen, in großer Anzahl (Ming-öi) und durch Gänge
verbunden beieinander lagen. — Auf Taf. 1, a werfen wir einen Blick durch das
Fenster einer Mönchszelle der Ming-öi zu Qyzil auf die Ostseite des Muzart-Tales.
Schroff und kantig in das Tal vorgestreckt, wird der Fels von den Fluten des
Stromes umbrandet. Die Hügel des Vordergrundes, über die unser Blick in das
Tal gleitet, fallen dem Fluß zu steil ab und sind ein Teil einer das Tal im Bogen
umrahmenden Bergkette, welche unten an den Abhängen eine Fläche frucht-
baren, vom Flusse im Laufe der Zeit abgelagerten Bodens freiläßt. Hier blühen
zu ihrer Zeit Haine von Pfirsich- und Aprikosenbäumen, welche einen lieblichen
Anblick gewähren können. Unser Auge aber fällt nur auf die öden Ufer der
rechten Flußseite, um sich dann zu den aufragenden Bergreihen einer Gebirgs-
landschaft zu erheben. — „Freundliche Erinnerungen an arbeitsreiche glühende
Sommerwochen! Aber dieselben Wochen brachten Erdbeben und furchtbare
tosende Sandstürme. In unglaublicher Schnelligkeit wird der rotglühende Himmel
schwarz wie die Nacht. Ein schneidender Pfiff ertönt und furchtbare Windstöße
und Wirbel werfen ungeheure Massen von Sand über die Wege. — Alles ist wie
dämonisch durchtobt1.“—In drei Anlagen sind die Höhlen in sich hintereinander
erhebende Reihen dieser Berge des Nordufers eingehauen. Unser Fenster liegt
in der zweiten Anlage, zu der ein „schwindelerregender schmaler Paß“ hinauf-
führt. Von Schluchten unterbrochen (Taf. 2, a), aus denen bei plötzlichem Regen
in wenigen Augenblicken schäumende Wildbäche hervorbrechen, steigen die zer-
klüfteten Felswände auf, eingemeißelt in ihnen die Tempel und Wohnungen der
in eine romantische Einsamkeit zurückgezogenen Mönche.
Tempel und Anlagen in Felsen einzuhauen, ist in Indien seit früher Zeit üblich;
doch nur in Baktrien finden sich Anlagen baulich ähnlichen Charakters wie die
des nördlichen Ostturkistan, ein direkter indischer Einfluß ist in der Architektur
der Bauten nicht zu verspüren. Wie mancher der späteren chinesischen Indien-
pilger den weiten, aber bequemeren Umweg über Baktrien nicht scheute, wird auch
der Buddhismus bei seinem Vordringen nach Osten diesen Weg bevorzugt haben.
Daneben ergoß sich ein schwächerer Propagandastrom über Kaschmir in den
Süden Ostturkistans. — Vier Hauptformen von Grottentempeln lassen sich unter-
scheiden. Wir werden diese Typen bei Besprechung der „Pfauen-“, „Seefahrer-“,
„Hippokampen“-Höhle und der „Höhle der Maya“ betrachten.
Malereien aus dem eigentlichen Gandharagebiet sind bisher nicht gefunden
worden. Nur die manchmal in Resten erhaltene Bemalung der Plastiken und
vor allem die Schilderungen der chinesischen Indienpilger lassen Rückschlüsse
auf ihre Bedeutung zu. Als einen Ersatz haben wir nun die in Ostturkistan in-
1 Sandstürme sind in der Gegend von Turfan überaus häufig.
Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 18
41
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