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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 18
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Basler, Adolphe: Pariser Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0935

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Pariser Chronik

Von ADOLPHE BASLER / Mit
vier Abbildungen auf zwei Tafeln

Betrachtungen über den Kunstjournalismus / Überrealismus / Der
durch die Ausstellung für Kunst und Gewerbe populär gewordene
Kubismus / 50 Jahre französischer Malerei / Ausstellung der Meister
des 19. und 20. Jahrhunderts in den neuen Räumen von Bernheim
jeune / 25 zeitgenössische Maler in der Galerie Druet / Die impres-
sionistischen Meister und einige lebende Maler, Matisse an der Spitze,
in der Galerie Barbazanges / Die französische Landschaft vonPoussin
bis Corot im Petit Palais / Der neue Konservator
des Luxembourg-Museums
EIN kürzlich nach Paris gekommener Kollege hat sich über meine Aus-
stellungsberichte sehr anerkennend geäußert, weil sie so angenehm zu
lesen wären. Er sagte, daß er bei der Lektüre die Illusion hätte, mit mir Aus-
stellungen, Auktionen, Kunsthandlungen in Paris zu besuchen. Ich hatte gar
nicht so viel Talent in mir vermutet, glaubte vielmehr, weit hinter den übrigen
Kunstschriftstellern zurückzubleiben, die sich einer viel geistreicheren und
gelehrteren Sprache bedienen und nicht müde werden, neue Worte zu erfinden,
um die Kunst in ihren vielfachen Äußerungen zu deuten. Meine Freunde und
ich achten die Gelehrsamkeit der fleißigen Kunstschriftsteller sehr, die ihre
Arbeiten tief durchdacht haben. Aber wir verabscheuen den Kunstjournalis-
mus. Ich fühle mich einer Ohnmacht nahe und zweifle an mir selbst, wenn mir
ein Blatt eines solchen ästhetischen Journalisten in die Hände fällt, der das
Bild eines modernen Malers beschreibt, als sollte er seine Kraft im Kampf mit
Motoren, Turbinen, Dampfschiffen, Automobilen, Aeroplanen erproben. Neid-
erfüllt denke ich dann an die Menschen des 18. Jahrhunderts, an einen Grimm,
der anmutig Fürsten über das geistige Leben in Frankreich belehrte. Warum
kann ich mit einem demokratischen Leser nicht ebenso einfach reden? Von
den modernen Kunstphrasen verführt, hält er die komplizierte Sprache für
schwieriger als die Bemühungen um die allergrößte Einfachheit.
Ich habe zum Verständnis des Kubismus beigetragen, ich habe sogar durch
eine Studie über Picasso und den Kubismus, die ich vor vier Jahren im Cicerone
veröffentlichte, die Sympathie von Waldemar George gewonnen. Ich be-
wahre den sehr beifälligen Brief vom Redakteur des „Amour de l’Art“ sorg-
fältig auf, dem ich durch meinen Artikel einen großen Dienst erwiesen habe.
Aber ich sehe mich außerstande, den ,,Surrealisme“ zu definieren, den L’hote
den französischen Expressionismus nennt. Ich stehe dieser neuen
Richtung durchaus nicht feindlich gegenüber, wie ich überhaupt keiner Rich-
tung feindlich gesonnen bin; jeder Geisteszustand ist von dem Augenblick an
gut, wo er den Beweis seiner Daseinsberechtigung erbracht hat. Was ist nun
der Überrealismus? Beaudelaire hat den Übernaturalismus gedeutet, aber den
Überrealismus? Eine Gruppe junger Literaten, die sich Überrealisten nennen,
geben eine Zeitschrift heraus, in der jeder seine Träume erzählt. Träumen ist
eine sehr schöne Sache. Dichterträume geben dem Leben einen tieferen Sinn.
Es ist gewiß sehr reizvoll, dem Unterbewußtsein des Menschen Schönheits-
elemente zu entlocken, die sicher viel seltener sind als die der Vernunft ent-
lehnten. Aber hier ist alles krankhaft. Wir erinnern uns der vielen bekannten
Beispiele psychischer Malerei. Das stammt von Freud. Man sollte den Psy-
chiatern die Sorge überlassen, die anormalen Seelenzustände der Künstler, die
sie immer für nicht internierte Irre halten, zu studieren und nicht ästhetische

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