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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 22
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1138

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Ausstellungen

der äußeren Fassung wiederum das Thema,
in den Umriß eines Kopfes die seelische
Situation allgemein menschlicher Gefühle
zu bannen. Aber die neuen Lösungen sind
ungemein vertieft. Die Umrisse fast auf-
gelöst, klingen nur mehr leise mit. Die Ge-
sichter werden zu Gesichten. Man gerät in
den Bann einer halbwachen Dämmerung,
wo die Bilder verlöschen und nur mehr
Farben auf steigen als Vision des Erlebten.
Stärkster Gegensatz zu Kandinsky, der noch
in der Vibration schöpferischen Gesche-
hens die Mitarbeit des Verstandes vom Be-
schauer fordert. Bei Jawlensky ist alles Ge-
fühl, Inbrunst, restlose Hingabe an den
Gegenstand.
Dülberg zeigt in seinen Holzschnitten
eine harte, eigenwillige Sprache mit sehr
beredtem Ausdruck in den Gebärden seiner
Figuren. Die herbe Struktur der Muskel-
bildungen erinnert an den Maser von Holz.
Das Seelische ist etwas gewaltsam in das
Pathos der Mimik gezerrt. In den Mosai-
ken, deren extreme Technik die auf den
Holzschnitt eingestellten Wirkungen nicht
zulassen, versagt die Ausdruckskraft. Mu-
lot bewegt sich mit Schönheit und feinem
Takt in den ihm gesteckten Grenzen. Einige
Landschaften und Zeichnungen ehren
ThielmannJ-, dessen Stärke in volkstüm-
licher Illustration lag. ch.
ZÜRICH
Der Kunstsalon Wolfsberg zeigt eine
umfassende Schau zeitgenössischer Fran-
zosen von Maurice Denis und Bonnard bis
zu Andre L’Hote und Coubine, gute Pein-
turen unter sorgfältiger Vermeidung alles
Extremen.
Qualitativ am besten scheint uns Vla-
minck vertreten. Neben den bekannten,
feuchtschimmernden Landschaften, die
heute in Paris von einem halbdutzend
Nachbeter imitiert werden, findet sich ein
seltenes Blumenstück, vorab aber ein
Früchtestilleben. Stilleben lassen sich diese
Malereien sehr schwer benennen, denn
diese Trauben, Birnen, Mispeln sind, trotz
ihrer straffen Architektonik, nur schwer
identifizierbar in ihrer fleischlichen Kon-
sistenz: sie sind wie durch das Fenster
eines vorüberfahrenden Expreßzuges ge-
sehen. Von L’Hote fiel uns besonders ein
Akt mit Uhrarmband auf, in dem L’Hote,
bei unsichtbarer, kubistischer Architekto-
nik, in eine prachtvoll disziplinierte Fleisch-
lichkeit übergeht. Von Pascin einige grö-
ßere Bilder; sitzende Frau in himmelblau
getünchtem Hemd, alles unheimlich ge-
schickt, schwimmend in der Farbe, pastell-
haft flaumig: Rokoko der Gosse! Cou-

bine, der sich in Paris völlig akklimati-
siert hat, führt zur Nazarenerlinie, er geht
ihr, zum Unterschied von Italienern und
Deutschen, mit einer gewissen Milde in
Farbe und Linie nach.
An dieser Stelle ist besonders der in Pa-
ris malende Neuenburger Theophile Ro-
bert zu nennen, der in Karlsruhe und
auf dem jetzigen Salon d’Automne Erfolg
hatte. Schon im Sujet knüpft er an die
Romantiker: ,,Bäuerin mit Steinkrug“,
„Junges Mädchen in Schwarz“ mit Blu-
menstrauß. Er hat (in seinen großen Bil-
dern, die hier nicht vertreten sind) alle
Elemente von Cezanne bis Picasso absor-
biert. Ob er mehr als ein geschickter Aus-
nützer der augenblicklichen Geschmacks-
richtung ist, ließe sich mit Sicherheit nur
bei einer größeren Zusammenstellung sagen.
Bei Wolfsberg finden sich — außer ge-
fügigem Nachwuchs — ferner noch: De-
rain, van Dongen, Favory, Gimmi, Matisse,
Signac, Segonzac, Valloton.
* *
*
Das Kunsthaus zeigt vorab einen Über-
blick des Werkes von Oscar Lüthy. In
Deutschland kennt man den Maler durch
einen hymnisch gehaltenen Aufsatz im er-
sten Jahrgang des „Genius“ (1919). Lüthy
steht mit seiner enormen Farbengewandt-
heit und der bis zur Verschwommenheit
gehenden Formaufweichung in der Schweiz
fast ganz allein. Man würde — ohne Daten
— den Maler ganz anders lokalisieren als:
geb. zu Bem 1882.
In der ganzen Malerei Lüthys lassen sich
zwiespältige Züge erkennen. Im Techni-
schen: Der Kubismus hat in der ganzen
Malerei zu einer Stärkung der architektoni-
schen Bildstruktur geführt. Lüthy aber ver-
wendet seine Gestaltungsmittel, um die Ar-
chitektonik zu lockern und die Erscheinung
in ihrem äußersten Flaum zu geben: er ge-
braucht also kubistische Mittel fast im Sinn
des Neoimpressionismus. Dazu kommt,daß
Lüthy schillernde Farben liebt, die nahe-
zu das Süßliche streifen.
Am vollkommensten erreicht Lüthy das
sich gesteckte Ziel in seinen Rosenbildern.
Da sind wirklich Blumen mit neuem Ge-
sicht gesehen. Es handelt sich nicht um
Seinszustände. Diese vor verschobenen
Farbrechtecken aufqüillenden Rosen wach-
sen und vergehen wie ein Gegenstand auf
einer Mattscheibe bei Verstellung des Ob-
jektivs. Es haftet ihnen durchaus das zu-
gleich naturalistische und gespensthafte
spiritistischer Materialisationsphänomene
an. Verstimmend dagegen wirken Bilder,
die sich selbst „mystische Sphärenkristalli-
sation“ (1925) nennen und nichts sind als

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