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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 22
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1139

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Ausstellungen

verspätete Atelierübungen, wie sie um 1919
in Berliner oder Münchner Dachstuben üb-
lich waren. Das astrale Erlebnis des Malers
soll nicht bezweifelt werden, wohl aber
seine Gestaltung.
Am bedenklichsten sind die religiösen
Bilder Lüthys. Schon 1913 (vgl. Genius) ver-
suchte Lüthy die prachtvolle Pieta im
Louvre aus der Schule von Avignon kubi-
stisch umzudeuten, was jedoch nur ins
Kunstgewerbe führte, in der nationalen
Kunstausstellung dieses Sommers sahen
wir die großformatige ,,Adoration“, zu der
jetzt Studien vorliegen. Diesmal handelt es
sich in der Madonna um eine Paraphrase
der Monna Lisa (aber man beachte, was für
einen leeren Blick Maria hat), Engel, seifen-
blasenfarbig, umschweben sie. Man kann
die Frage stellen, ob religiöse Kunst heute
überhaupt möglich ist. Diese ,,Adoration“
in ihrem breiten Goldrahmen würden wir
jedenfalls nicht dazu rechnen können.
Von den zahlreichen graphischen Arbei-
ten seien diesmal die Zeichnungen Eugen
Zel lers hervorgehoben — auf die wir noch
zurückkommen möchten -—, da Zeller in
seinen Kompositionen die Konsequenz aus
dem Willen der Zeit nach Klarheit und Prä-
zision gezogen hat, die Zeichnung anschei-
nend dem gemalten Bild vorzieht und der
minutiös mit spitzestem Blei gefertigten
Zeichnung neue Wirkungen abzugewinnen
versucht.
Abgesondert von den Modernen sind über
fünfzig Zeichnungen Johann Heinrich
Füßlis zu sehn aus der Sammlung A. O.
Meyer, die bei Boerner in Leipzig 1914 ver-
steigert wurde. Wie Wartmann mitteilt,
beträgt die heutige Preissetzung gegenüber
1914 durchschnittlich das Vier- bis Fünf-
fache. -— Auch diese qualitativ sehr ver-
schiedenen Zeichnungen zeigen, wie sehr
Füßli im englischen Kulturboden aufging.
Man erkennt in ihm nicht nur den Freund
Reynolds; gelegentlich wirkt er in den
Zeichnungen wie ein Vorläufer der Prä-
raffaeliten. * *
*
Im Novemberzyklus des Kunsthauses
bleibt Hermann Huber der hervorragend-
ste Anteil. Außerhalb der Schweizer Gren-
zen war — wenigstens bis vor kurzem —
Huber einer der wenigen lebenden Schwei-
zer Maler, den man kannte. In Berlin sitzen
vielleicht seine wärmsten Fürsprecher. Seine
Malerei wirkt auf Nerven, die immer mit
dämonischen Bildern oder solchen, die
durch gerissene Kosmetik der Mache auf-
geplustert sind, zu tun haben, wie eine Er-
holung, wie Sommerfrische. Ich kenne kei-
nen Maler, der mit süßerem Reiz — und

dabei in solider, renoirhafter Malkultur —•
die Intimitäten des Daseins auszubreiten
verstünde. Was Huber zum starken Maler
macht, das ist seine bewußte Umgrenzung.
Seit Jahren malt und zeichnet er in seinen
wesentlichen Bildern fast immer das glei-
che Motiv: Frau, Frau und Kind, Kinder
im Wald am Bach, Kinder in der Stube,
ausgewogen in Farbe und Verteilung und
immer: wie abgeschnitten nach oben. Be-
wußte Umgrenzung, denn der Maler lebte
in Graubünden! Wer den schönsten Schi-
berg der Schweiz, die Parsenn, kennt, der
fand in den letzten Jahren, fast täglich wie-
derkehrend, im Hüttenbuch das Autogramm
Hermann Hubers. Trotzdem: in seinen
Bildern — im Gegensatz etwa zu Kirchner
— kein eigentlicher Gestaltungsversuch der
großartigen Formen, die ihn täglich durch-
drungen haben müssen. Er beschränkt sich
auf eine Zimmerecke, ein Waldstück. Und
wie er sich im Bündner Licht eine En-
klave aus Zimmer- und Waldecke baut, so
baut er sich auch eine Enklave der ganzen
Zeit. Wir können die Frage nicht umgehn:
Ist möglich, daß ein wahrhaft schöpferisch-
lebendiger Mensch sich in dieser Zeit so
weit einspinnt, daß die Geschöpfe, die er
gestaltet, allein von zärtlichem Licht um-
woben sind, das sie trifft wie der Hauch
einer Mutter? Zwei Schritte weiter: ,,Fasan
mit Reblaub“, „Wildenten mit Gemüse“,
ein „toter Rehbock“. Durchaus Küchen-
stücke. Ist es möglich, daß man heute, wo
man langsam alle Kreatur mitzuerleben
sucht, von der Qualle bis zum mißbrauch-
ten Menschen — konstatierend, ohne Sen-
timentalität, aber immerhin wissend —, ist
es möglich, daß man heute ein geschosse-
nes Tier zum künstlerischenVorwurf nimmt
und der Blick, der für Frau und Kinder
alle Wärme in sich trug, so weit verstumpft,
daß er daraus nicht mehr gestaltet als einen
bunten Farbfleck? — Atavismen.
Bei den süditalienischen Bildern Hans
Stockers (Basel), der hier langsam zu Na-
men kommt, merkt man, daß Schwabing
endgültig nach Positano übersiedelt ist.
Diese anspruchsvollen Malereien sind we-
der im Bau noch in der Farbe gekonnt.
Nachgehumpelter Expressionismus. — Be-
tont sei diesmal Hans Schöllhorn (Win-
terthur), der neben harten Entgleisungen
(Beduinenmädchen) doch zu wissen scheint,
daß wir heute eine Entwicklung der Höhen-
perspektive, den Flugzeugblick, brauchen
(La Joliette). Im „Quai du vieux Port“
pflanzt er einen, bereits etwas Klischee ge-
wordenen, Bartisch in den Vordergrund, be-
schäftigt sich mit einer Laterne und läßt
die prachtvolle Phantastik der turmhohen

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