Neue Bücher
genheiten erst eigentlich begründete, hat
nie rechte Anwendung auf die Architektur
gefunden. Dies zähere Element widerstand,
ließ die Arbeit immer wieder in den mor-
phologischen Beziehungen, in der Bauge-
schichte stecken bleiben, wobei sich das
allein der Anstrengung würdige Ziel —das
Kunstwerk selbst — sein Sinn — verwischte
und verdunkelte. Sicher ist das Wissen um
die Baugeschichte, die Herkunft der Archi-
tekturformen unerläßlich, aber nicht so, daß
man erst das eine und dann das andere vor-
nehmen könnte; die Frage nach dem inne-
ren Sinn der Verwendung der Architektur-
teile muß vielmehr immer voranleuchten.
Anderenfalls ergäben sich die Bauwerke
des Mittelalters als Zufallserzeugnisse, als
Konglomerate in der Welt herumfliegender
Bauteile.
Das neue Buch über die Marburger Elisa-
bethkirchefußt einzig auf dem Sinn des Gan-
zen. Es wird anschaulich, wie das Doppel-
geschoß des Dreiflügelchors die Aufteilung
der Hallenlängswand vorbereitet, wie Chor
und Halle unlöslich ineinander verankert
sind, wie die Konzeption des einen schon
das andere bedingte, die Abhängigkeit von
der westfälischen Halle gar nicht in Be-
tracht kommt. Wir begreifen, warum die
vertikale Aufteilung nicht — in sonst in
der Gotik üblichen Weise — das Dachge-
sims in Fialen durchstößt, warum der
Künstler drei Querdächer nahm und nicht
der Jochzahl des Längsschiffes entspre-
chend fünf, warum er die Dächer abwalmte
und nicht in Giebeln reihte. Die Fassade
ergibt sich als die imposante Steigerung der
vertikalen Gliederung der Schiffe, deren
Wände gleichzeitig zum kubischen, pyra-
midenhaften Denkmal gewandelt werden.
Die noch kaum beobachteten Verschiebun-
gen der Fenster aus der Achse in der
Schauseite, die Unregelmäßigkeiten in
Tiefe und Stellung der Pfeiler, das alles
erweist die feinste künstlerische Rechnung
des Meisters. Der Vergleich mit den Lö-
sungen der Kathedrale von Reims bringt
Erleuchtung hier wie dort, für deutsche
Bausgesinnung wie für französische. — Der
Vergleich der Halle in Marburg mit der
westfälischen klärt das Wesen beider.
Das Schweben des Baues zwischen Ro-
manischem und Gotischem, die Umdeu-
tung französischer Errungenschaften in
deutsche Empfindung, das Eintauchen des
vorwärtsdrängenden Langhauses in das
Verweilen des Zentralraumes, das Verwo-
bensein basilikaler Vorstellung in einen
Hallenbau — das alles macht das uns nun
erst ganz bewußt gewordene Einmalige und
Einzigartige der Elisabethkirche aus.
Wilhelm-Kästners Buch wird für den
Forscher durch die neue Bearbeitung nicht
entbehrlich — soweit es die höchst wich-
tigen Beziehungen nach Frankreich und
die ausgedehnte künstlerische Nachfolge
betrifft, in Hinsicht auf die Elisabethkirche
als Kunstwerk mußte seine Einstellung
scheitern.
Was in Dehios Geschichte der mittel-
alterlichen Baukunst ab und zu aufblitzt
— der Gedanke an das jeweilige künstleri-
sche Problem —, das ist der alleinige In-
halt der Arbeit Meyer-Barkhausens. Die
Methode hat Allgemeingültigkeit, sie wird
Vorbild sein müssen für alle Behandlung
von Werken der Baukunst.
Das vorliegende Buch ist in strenger,
klarer, plastischer Sprache geschrieben —
darin wie in seinen adligen Vergleichen
dem behandelten Gegenstände gleichartig.
Die beigegebenen photographischen Auf-
nahmen wurden in engstem Anschluß an
die künstlerischen Erkenntnisse gemacht.
A. Kippenberger.
Bernhard Patzak, Die Elisabethka-
pelle des Breslauer Domes. Verlag
des „Freien Forschungsinstitutes für
schlesische Kunst- und Kulturgeschichte“.
In seinem ersten Kapitel befaßt sich das
Büchlein mit der Persönlichkeit des Stif-
ters der Kapelle, dem Kardinal Landgrafen
Friedrich von Hessen und mit dessen Be-
ziehungen zur Berninischule. Dabei scheint
jedoch das Verhältnis des Kardinals zu
Bernini selbst nicht ganz so eng und per-
sönlich gewesen zu sein, wie der Verfasser
vermeint. Denn wenn auch der Landgraf in
der Begleitung Alexanders VII. (nicht Ur-
bans VIII.) nachweislich mit Bernini zu-
sammentraf, so mag diese flüchtige Be-
kanntschaft den Künstler noch nicht zur
eigenhändigen Herstellung der Kardinals-
büste im Breslauer Dome bewogen haben1).
Sodann widmet der Verfasser den beiden
Schöpfern der plastischen Bildwerke in der
Kapelle, Dom. Guidi und Ercole Ferrata,
eine kurze biographische und stilkritische
Untersuchung. Dabei gelingt ihm derNach-
weis, daß der letztgenannte dieser Künst-
ler mit dem bisher in der Lokalliteratur auf-
geführten Hercules Floretti identisch ist.
Das zweite Kapitel wartet mit einer An-
zahl von Forschungsergebnissen auf, als
deren wichtigstes wohl die Entdeckung Gia-
como Scianzis als des Erbauers der Kapelle
zu werten ist. Die weiteren Resultate sind
zum Teil von lokalgeschichtlichem Inter-
1 Vgl. Nickel, Die Breslauer Steinepitaphien aus Re-
naissance und Barock. Straßburg 1924. Abb. 27 und 28.
1197
genheiten erst eigentlich begründete, hat
nie rechte Anwendung auf die Architektur
gefunden. Dies zähere Element widerstand,
ließ die Arbeit immer wieder in den mor-
phologischen Beziehungen, in der Bauge-
schichte stecken bleiben, wobei sich das
allein der Anstrengung würdige Ziel —das
Kunstwerk selbst — sein Sinn — verwischte
und verdunkelte. Sicher ist das Wissen um
die Baugeschichte, die Herkunft der Archi-
tekturformen unerläßlich, aber nicht so, daß
man erst das eine und dann das andere vor-
nehmen könnte; die Frage nach dem inne-
ren Sinn der Verwendung der Architektur-
teile muß vielmehr immer voranleuchten.
Anderenfalls ergäben sich die Bauwerke
des Mittelalters als Zufallserzeugnisse, als
Konglomerate in der Welt herumfliegender
Bauteile.
Das neue Buch über die Marburger Elisa-
bethkirchefußt einzig auf dem Sinn des Gan-
zen. Es wird anschaulich, wie das Doppel-
geschoß des Dreiflügelchors die Aufteilung
der Hallenlängswand vorbereitet, wie Chor
und Halle unlöslich ineinander verankert
sind, wie die Konzeption des einen schon
das andere bedingte, die Abhängigkeit von
der westfälischen Halle gar nicht in Be-
tracht kommt. Wir begreifen, warum die
vertikale Aufteilung nicht — in sonst in
der Gotik üblichen Weise — das Dachge-
sims in Fialen durchstößt, warum der
Künstler drei Querdächer nahm und nicht
der Jochzahl des Längsschiffes entspre-
chend fünf, warum er die Dächer abwalmte
und nicht in Giebeln reihte. Die Fassade
ergibt sich als die imposante Steigerung der
vertikalen Gliederung der Schiffe, deren
Wände gleichzeitig zum kubischen, pyra-
midenhaften Denkmal gewandelt werden.
Die noch kaum beobachteten Verschiebun-
gen der Fenster aus der Achse in der
Schauseite, die Unregelmäßigkeiten in
Tiefe und Stellung der Pfeiler, das alles
erweist die feinste künstlerische Rechnung
des Meisters. Der Vergleich mit den Lö-
sungen der Kathedrale von Reims bringt
Erleuchtung hier wie dort, für deutsche
Bausgesinnung wie für französische. — Der
Vergleich der Halle in Marburg mit der
westfälischen klärt das Wesen beider.
Das Schweben des Baues zwischen Ro-
manischem und Gotischem, die Umdeu-
tung französischer Errungenschaften in
deutsche Empfindung, das Eintauchen des
vorwärtsdrängenden Langhauses in das
Verweilen des Zentralraumes, das Verwo-
bensein basilikaler Vorstellung in einen
Hallenbau — das alles macht das uns nun
erst ganz bewußt gewordene Einmalige und
Einzigartige der Elisabethkirche aus.
Wilhelm-Kästners Buch wird für den
Forscher durch die neue Bearbeitung nicht
entbehrlich — soweit es die höchst wich-
tigen Beziehungen nach Frankreich und
die ausgedehnte künstlerische Nachfolge
betrifft, in Hinsicht auf die Elisabethkirche
als Kunstwerk mußte seine Einstellung
scheitern.
Was in Dehios Geschichte der mittel-
alterlichen Baukunst ab und zu aufblitzt
— der Gedanke an das jeweilige künstleri-
sche Problem —, das ist der alleinige In-
halt der Arbeit Meyer-Barkhausens. Die
Methode hat Allgemeingültigkeit, sie wird
Vorbild sein müssen für alle Behandlung
von Werken der Baukunst.
Das vorliegende Buch ist in strenger,
klarer, plastischer Sprache geschrieben —
darin wie in seinen adligen Vergleichen
dem behandelten Gegenstände gleichartig.
Die beigegebenen photographischen Auf-
nahmen wurden in engstem Anschluß an
die künstlerischen Erkenntnisse gemacht.
A. Kippenberger.
Bernhard Patzak, Die Elisabethka-
pelle des Breslauer Domes. Verlag
des „Freien Forschungsinstitutes für
schlesische Kunst- und Kulturgeschichte“.
In seinem ersten Kapitel befaßt sich das
Büchlein mit der Persönlichkeit des Stif-
ters der Kapelle, dem Kardinal Landgrafen
Friedrich von Hessen und mit dessen Be-
ziehungen zur Berninischule. Dabei scheint
jedoch das Verhältnis des Kardinals zu
Bernini selbst nicht ganz so eng und per-
sönlich gewesen zu sein, wie der Verfasser
vermeint. Denn wenn auch der Landgraf in
der Begleitung Alexanders VII. (nicht Ur-
bans VIII.) nachweislich mit Bernini zu-
sammentraf, so mag diese flüchtige Be-
kanntschaft den Künstler noch nicht zur
eigenhändigen Herstellung der Kardinals-
büste im Breslauer Dome bewogen haben1).
Sodann widmet der Verfasser den beiden
Schöpfern der plastischen Bildwerke in der
Kapelle, Dom. Guidi und Ercole Ferrata,
eine kurze biographische und stilkritische
Untersuchung. Dabei gelingt ihm derNach-
weis, daß der letztgenannte dieser Künst-
ler mit dem bisher in der Lokalliteratur auf-
geführten Hercules Floretti identisch ist.
Das zweite Kapitel wartet mit einer An-
zahl von Forschungsergebnissen auf, als
deren wichtigstes wohl die Entdeckung Gia-
como Scianzis als des Erbauers der Kapelle
zu werten ist. Die weiteren Resultate sind
zum Teil von lokalgeschichtlichem Inter-
1 Vgl. Nickel, Die Breslauer Steinepitaphien aus Re-
naissance und Barock. Straßburg 1924. Abb. 27 und 28.
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