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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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R.: Rat an einen Bildhauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0135

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Rat an einen Bildhauer

WILHELM
GERSTEL
-BERLIN
»SITZENDE«

(zu der auch Sie gehören) füglich zu leisten be-
rufen ist? Sie haben den Ehrgeiz nach Größe,
nach Monumentalität. Haben Sie sich schon
einmal gefragt, wie es mit dem Beruf unserer
Zeit zur Monumentalität bestenfalls bestellt sein
kann? Haben Sie noch nicht jenen Unterschied
entdeckt, der zwischen Größe und Sehnsucht
nach Größe besteht? Haben Sie noch nicht
bemerkt, daß wir heute in dieser Sehnsucht
zwar Großes leisten, daß aber die tatsächliche
Größe uns mehr abgeht als irgend einer Epoche
vorher? Kluge Leute haben schon längst ge-
funden, woran das liegt: uns fehlt eine neue
Religion, haben sie gesagt. Ausgezeichnet; aber
woher sollen wir eine neue Religion beziehen?
So sagte auch Nietzsche: „Die neuen Werte
müssen erst geschaffen werden — das bleibt

uns nicht erspart." Das ist richtig; aber wie
und von wem werden die neuen Werte geschaf-
fen? Sind sie schon damit vorhanden, daß ich
mich nach ihnen sehne? Die Sache der großen
Form mit einer wünschenswerten „neuen Reli-
gion" verkuppeln, heißt sie ad calendas graecas
vertagen; ja, es heißt sie ins Blaue verschieben,
sie negieren. Inzwischen müssen wir uns doch
wohl mit unseren Wirklichkeiten einrichten. Wir
müssen tun, was uns möglich, ersprießlich und
notwendig ist. Und das gilt insbesondere für
Sie, den Künstler. Wollen Sie nicht dieses
falsche Ideal der „Monumentalität" in den Wind
schlagen und sich ernstlich auf Ihre wirklichen
Qualitäten besinnen? Sie sind von Person ein
lebensfroher, sehr witziger, intelligenter und
dabei grundgediegener Mensch: warum haben
 
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