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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Dreyfus, Albert: Aristide Maillol
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0314

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Aristide Maillol

Maß widerstanden, vielleicht nicht ohne Schaden
für seinen Nachruhm. Rodin eignet kühnster
Wurf, reiche Erfindungsgabe, differenzierteste
Wahrnehmung, besonders der Epidermis, aber
wie oft behindert ihn seine Art, die Dinge nur
mit Motorgeschwindigkeit zu überfliegen, sie
nur in Abkürzungen zu sehen, an restlosem Aus-
formen. Sein Echtestes sind seine Skizzen und
Fragmente.

Anders Maillol. Der schöpferische Gedanke
ist bei ihm wie bei jedem Künstler blitzlicht-
artig, aber das Formwerden ist langes stetiges
Ausreifen wie bei einer Pflanze. Formwerden
äußert sich bei ihm in gewichtigeren Bindungen
als bei den Naturalisten und Impressionisten:
deren Werk gleicht der sehn eil aufgeschossenen,
im Augenblick höchst reizvollen, aber oft ebenso
schnell verwehten Blüte, eine Maillolsche Skulp-
tur der sinnvollen, süßen, runden, das Geheim-
nis des Weiterlebens in sich bergenden Frucht.

Man hat Maillol einen Epigonen der Griechen
genannt; zu Unrecht. Sein Griechentum ist
Franzosentum : der Geist der griechischen Form
kann in ihm lebendig sein, weil es Stellen

gibt, wo griechisches und französisches Wesen
sich berühren, so wie an anderen Schnittpunkten
griechisches und deutsches (Pindar: Hölderlin).
Wie sehr schon erinnert französische Land-
schaft, und gerade die um Paris, an griechische
Kalokagathie! Kann man sich eine geeignetere
Temperatur für das Gedeihen Maillolscher Sta-
tuen vorstellen als die auf den Höhen von Marly-
le-Roy, wo des Künstlers Sommerhaus steht?
Gibt es ein besseres Gleichnis für seine Kunst
als die Seine, die drunten im Tal mäanderhaft
die parkbestandenen Hügel von Rueil und St.
Germain umwindet, in gleichmäßigem Gefälle,
ohne Hast, und die Fruchtbarkeit von Korn und
Wein von der Quelle bis zur Mündung an die
Ufer verschwendend? Maß und Stetigkeit,
Kraft und Fülle, sind das nicht auch vornehm-
lich griechische Eigenschäften?

Nein, Maillol ist nicht griechelnd. Deutlich
spürt man an seinen Werken die zweiundein-
halbtausend Jahre, die sie von der Antike tren-
nen. Eine griechische Plastik der archaischen
oder der Phidiaszeit hat eine Erhabenheit, eine
kristallische Reglosigkeit, die uns Moderne be-
 
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