Kunstlitteratur und vervielfältigende Kunst.
Im Melier des Direktors M von Werner.
allmählich von 18000 auf zwei Millionen gestiegenen Berliner
Bevölkerung und ihrer so mannigfachen Bestandteile gibt, als
dies vor 1870 jemals der Fall war! Daß sich aber inmitten solch
fieberhaften Wachstums und durchaus unfertiger Zustände noch
keine zugleich volkstümliche und harmonische Kunst entwickeln
konnte, das ist selbstverständlich. Genug, daß man wenigstens
auf dem besten Wege zu einer solchen ist. Daß dabei aber dem
erst vergötterten, jetzt beständig höchst ungerecht angegriffenen
A. v. Werner nächst Menzel das größte Verdienst zukommt, das
unterliegt keinem Zweifel. Man braucht aber nur die früheren
Arbeiten A. v. Werners mit seinen heutigen zu vergleichen, so
z. B. die Ausrufung des Kaiserreiches in Versailles mit der Er-
öffnung des Reichstages von 1888 durch Kaiser Wilhelm II,
so muß jeder, der nicht ganz von Parteigeist verblendet ist, so-
fort zugesteheu, daß Werner, wenn auch kein großer Kolorist,
doch ein Meister ersten Ranges in der Charakteristik moderner
historischer Persönlichkeit ist. Wie Werner z. B. einen Kaiser
Wilhelm I., einen Viktor Scheffel, Bismarck u. a. darstellt, das
ist in seiner Art fast so gut wie Menzel, wenn auch nicht so
malerisch reizvoll. Die große Zeit von 1870 konnte in Wahrheit
keinen besseren Schilderer finden. Nur der gerade in Berlin aufs
Wütendste gesteigerte Parteigeist kann das bestreiten! A. v.
Werners Kapitulation der französischen Generale vor Moltke
bei Sedan oder seine Diplomaten beim Berliner Kongresse
sind Schilderungen moderner Charaktere wie sie nie meister-
hafter gemacht worden. Man betrachte daneben doch einmal,
was die Maler des ersten Kaiserreichs, die David, Gerard,
Gros u. a. nach dieser Seite hin geleistet, so wird man es
tief unter Werners Bildern stehend finden. So z. B. das
berühmte Bild des Wiener Kongresses, wo Tallcyrand als Sieger
im Vordergrund sitzt — das hält doch nicht den entferntesten
Vergleich mit dem lebensprühenden Wernerschen Kongreßbild ans,
wo man jedem Einzelnen sogar seine Nationalität beim ersten
Blick ankennt, nicht nur seinen persönlichen Charakter. Aber
freilich, billig und gerecht gegen einheimisches Verdienst zu sein,
das scheint in Berlin noch viel schwieriger als anderwärts!
Den Schluß unseres Werkes bildet ein Aufsatz von L. Pietsch,
in welchem er uns in überaus fesselnder und lehrreicher Weise
seine zwei ersten Schülerjahre an der Berliner Akademie,
1841—1813, erzählt und damit ein viel lebendigeres Bild vom
damaligen Zustand der Anstalt gibt, als dies auf jede andere
Art möglich wäre. Kein junger Künstler wird diesen Aufsatz
ohne Nutzen lesen. l6?ö7i
1'. kt. Künstler-Monographien. XIV. Ludwig
Richter von Paul Mohn. (Bielefeld, Belhagen und Klasing.
M. 3.) Diese neue Biographie des berühmten Künstlers ist von
SZ
183 meist nach den Originalen photogra-
phierten Abbildungen getragen, die in
ihrer geschickten Auswahl ein ziemlich voll-
ständiges Bild der Leistungen des Meisters
geben, der lange etwas überschätzt, auch
heute bei kühlerer Beurteilung noch immer
einen großen Wert behält, trotz des uns
jetzt weniger sympathischen, sentimental
religiösen Beigeschmacks. Denn man wird
unter allen Umständen anerkennen müssen,
daß nächst Menzel kein anderer Künstler
so spezifisch deutsch anmutet. Läuft bei
der ungeheuren Fruchtbarkeit des Mannes
auch viel Konventionelles mit, besonders
bei den Figuren, so hat doch niemand
das sächsisch-thüringische Kleinbürgertum
und den Bauernstand in seiner innigen
Verbindung mit der dortigen Natur so
glücklich dargestellt. Ja der landschaftliche
Teil seiner Bilder ist entschieden der wert-
vollere, wie Richter ja auch als Land-
schaftsmaler begann. Leider hat sein
einstiger Schüler Mohn es unterlassen, in
seinem Text auf die großen Verdienste
hinzuweisen, die sich der Meister in seinen
Memoiren durch die Schilderung der fal-
schen Stellung der neudeutschen Roman-
tiker in Rom erwarb, welcher er so ent-
schlossen aus dem Wege ging. Während
uns dieselbe um eine wahrhaft nationale
Kunst gebracht hat, kömmt Richter das
außerordentliche Verdienst zu, zuerst neben
Menzel eine solche angebahnt und ihr
zugleich ein ganz neues Gebiet erobert zu haben. I67K«s
S. W. Kaiser Wilhelm ii. im Melier des Direktors
A. von Werner.
verkleinerte Nachbildung einer Lichtdruck-Beilage aus der Festschrift zur
200jäbrigen Jubelfeier der Berliner Akademie.