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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Kaden, Woldemar: Mit fremden Augen, [3]
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Ausstellungen und Sammlungen - Personal- u. Atelier-Nachrichten - Preisausschreiben - Denkmäler
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0102

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7Z

Mit fremden Augen.

von Ivoldemar Laden.

(Schluß aus dem vorigen Hefte.)

Florentiner Maler und Venezianer Maler.

In der Kirche S. Giorgio Maggiore (Venedig),
auch ein Werk Palladios, nicht weniger schön als die
„Redentore", befindet sich ein Christus am Kreuz von
Michelozzo Michelozzi, hergeschenkt von Cosimo dem
Älteren, als ihm, dem in Florenz Verhaßten und von
Rinaldo degli Albizzi
Vertriebenen, die Re-
publik Venedig Gast-
freundschaft gewährte.

Das Geschenk ist
würdig jener vor-
nehmen Zeit wie des
freigebigen Floren-
tiner Fürsten: es
ist ein wunderbarer
Christus.

In diesen er-
starrten Gliedern ist
wie eine letzte Be-
wegung des Todes-
kampfes zurückgeblie-
ben. Er ist tot und
doch gleichzeitig noch
schmerzempfindend,- er
ist tot, denn „Lon-
summatum est", aber
er zeigt soviel gelitten
zu haben, als genügt,
das ganze Menschen-
geschlecht zu rächen
und zu erlösen.

Wer ihn an-
schaut, dem wird die
geheimnisvolle Not-
wendigkeit eines sol-
chen allerhöchsten
Opfers klar, der fühlt,
daß etwas Erhabenes
und Geheimes über
derMenschheit waltet;
doch würde es uns
vielleicht lieber sein,
wenn die Darstellung einer Qual, einer der schrecklichsten,
die der mörderische Geist des Menschen ersinnen mag,
weniger naturgetreu wäre.

In diesem Werke Michelozzis erkennt man den
ernsten und gewissenhaften Schöpfergeist der Florentiner.
Die ersten, die religiöse Kunst durch Annäherung an
die Naturtreue zu vermenschlichen suchten, erhöhten sie
die Macht der Kunst durch Studium und Nachdenken,
auf diesem Wege bis zu Leonardo gelangend, der, wie
„Faust", sprechen konnte:

„vergönntest mir, in ihrer (der Natur) tiefen Brust,

lvie in den Busen eines Freunds zu schauen —"

und endlich bis zu Michelangelo, der in den Leichnamen
die physischen Gründe erforschte für jene schrecklichen
Züge und Geberden, die er allein (seine Forschung, sein
Geist) der menschlichen Gestalt zu geben verstand.

Nachdruck verboten.

In derartigen heiligen Vorwürfen, menschlich be-
handelt, ist der Ausdruck alles; es ist der Himmel mitten
hinein in die Menschheit getragen, die Seele, die auf-
leuchtet, ist das, was jeue Künstler in sich hatten, und
dem das ernste Studium der Natur nicht nur nichts
nahm, sondern alles verlieh. Durchs ganze Quattrocento

sind die Florentiner
Madonnen himmlisch.
Die höchste weibliche
Schönheit erreichen
sie nicht; es sind im
Gegenteil gewöhnliche
Frauengesichter, wie
man sie noch heute
in den Dörfern Tos-
kanas findet; aber
wenn es wahr ist,
daß von dem, was
unsere Seele bewegt,
ein Widerschein das
Antlitz durchschim-
mert, so verschönert
diese zweite, wenn
man sagen darf: in-
nere Physiognomie,
jene gar nicht so
schönen Gesichter
durch das, was Edel-
stes und Göttliches
ein Frauenherz be-
wegen kann. Kein
Maler schmückt der
Jungfrau das Gold-
haar feiner, keiner
zog ihr mit höherer
Reinheit die Aureole,
leicht wie der Wider-
schein eines Sternes
in der ruhig fried-
lichen Dunkelheit
einer Sommernacht
um das Haupt.

Der koloristische
Geist der Venezianer, unterstützt durch die aristokra-
tische Prachtliebe der Republik, führte sie dahin, ihre
Madonnen in die kostbarsten Gewandungen zu kleiden;
den Florentinern genügte es, dies mit edelster Ein-
fachheit zu thun. Wohl haben auch sie einigen Schmuck
und königliche Anmut, aber mehr als Königinnen sind
sie fromme Mütter und demütig, wie es das Weib in
der tiefen Liebe ist, und mehr als über die himmlische
Gloria erfreut, scheinen sie in Gedanken versunken über
die Schmach und die Bitternisse der Passion.

Die Seraphim des Angelico schicken aus ihren goldenen
Sphären wie eine Melodie dantesken Himmels; die mehr
körperlichen Engel seines Schülers Benozzo Gozzoli aber,
wie man sie in dem Palast Riccardi sieht, beten wie
Mädchen aus dem Volke von Florenz, die knieend im
Santa Croce oder in Santa Maria del Fiore im Augen-

Bismarck, von Franz von Lenbach.

Die Alinst für Alle XII.
 
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