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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Neues und Altes von Sascha Schneider
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0365

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Neues und Alter von Sascha Schneider.


Vision. Von Sascha Schneider.

OeueK und Altc^ von Sascha Schneider.

nd ich sähe, und siehe, es kam ein ungestümer Wind
von Mitternacht her mit einer großen Wolke voll
Feuers, das allenthalben umher glänzte, und mitten in
demselben Feuer war es wie Lichthelle; und darinnen
war es gestaltet wie vier Tiere, und unter ihnen eines
wie ein Mensch" — So erzählte Hesekiel von dem Ge-
sichte, das ihm ward am Wasser Chebar im Lande der
Chaldäer. Die geheimnisvoll ergreifenden Propheten-
worte, die seit Jahrhunderten die Künstler zur Darstellung
gereizt haben, sind auch der Text zu einem der letzten
Schneiderschen Kartons. Freilich fürchte ich, daß unter
seinen Vorgängern ein allgemeines Schütteln des Kopfes
anheben würde, wenn sie diese neueste Interpretation
der Bibelstelle sähen. Von den vier Geschöpfen hat
Schneider den Löwen einfach gestrichen und die drei
anderen in ein einziges unheimliches Wunderwesen zu-
sammengezogen. Indessen, der Lebende hat wie immer,
so auch hier recht. Hesekiel hin, Hesekiel her, der Ein-
druck eines großartigen Gesichtes, wie es nur Propheten
schauen, ist mit wenigen Mitteln ergreifend und wahr
geschildert.

Die Bibel wird ewig eine unendliche Fundgrube
künstlerischer Anregungen sein, schon weil sie zum guten
Teil von großen Künstlern der Sprache geschrieben ist
— allerdings unter der einen Voraussetzung, daß keine
starre Ueberlieferung die Phantasie des Bibelmalers in
Ketten legt. Wenn also ein Künstler, wie Schneider,
erfüllt ist von einem Ideal mächtiger Männlichkeit, so
hat er abermals recht, wenn er Johannes den Täufer
als den Vorkämpfer, den kühnen Wegbereiter, groß und
stark hinstellt und nicht als den abgezehrten Wüsten-

prediger. Denn die Züge des Asketikers würden ihm
nicht glücken, weil sie ihm unsympathisch sind.

Wenn man diese beiden Bilder vergleicht mit anderen,
die kaum zwei Jahre früher entstanden sind, wie den sogen.
„Genien der Geschichte" oder dem „Anarchisten", so
glaubt man wahrzunehmen, wie sich Schneiders Kunst mehr
und mehr in der Richtung eines wuchtigen Lapidarstils
entwickelt. Man wird es uns übrigens Dank wissen,
daß wir die Reproduktion dieser beiden Zeichnungen hier-
mit nachholen. Namentlich der Bombenwerfer gehört zu
dem besten, was Schneider geschaffen hat. Daß die
prächtige Figur, die sich so scharf vom dunklen Grunde
abhebt, auch die glücklichste Verkörperung eines sinnlosen
Umsturzes darstellt, -— dies wollen wir nur nebenbei be-
merken. Denn man erweist einem Künstler einen schlechten
Dienst, wenn man den Gedankeninhalt seiner Bilder
über der Darstellung lobt. — Was aber nun? — Wie
wird sich das ungewöhnliche Talent Schneiders weiter
bethätigen? — In seinen Kartons offenbart sich, was
wenigen gegeben ist, ein hoher und doch ganz indivi-
dueller Stil. Aber Kartons sind nichts Endgültiges, sind
Versprechungen, Wechsel auf die Zukunft. Wie sollen
sie eingelöst werden? — Die vervielfältigenden Künste
erheben die Zeichnung zum fertigen Kunstwerk. Aber
sie scheinen Schneider nicht zu genügen, indem sie sein
Bedürfnis nach Monumentalität nicht befriedigen. Aus
demselben Grunde wird er schwerlich in den Grenzen
der Staffeleibildmalerei verharren wollen. Seine ernsten
ruhigen Gestalten verlangen Weiträumigkeit. Steckt in
ihm mehr ein Raummaler oder ein Plastiker?

Pauli.

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