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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Hann, Pauline: Etwas über moderne Wertschätzung mittelalterlicher Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0120

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über moderne Wertschätzung mittelalterlicher Aunft.

von p

ine noch nicht lange verflossene Epoche der Malerei
versuchte es, zu den Gedanken oder Gefühlen des
Beschauers zu sprechen, ihn fortschrittlich zu begeistern,
vor ihm die Sache der Elenden, vom Schicksal verkürzten
zu führen, „Mannesmut vor Königsthronen" zu ver-
kündigen, mit einem Worte die löblichsten Erziehungs-
pläne auf dem hiezu am wenigsten geeigneten Felde zu
probieren.

Der moderne Maler hat sich von dieser Absicht voll-
ständig abgewendet, erkennend, daß seine Aufgabe nicht

Nachdruck verboten.

liebevolles Vertiefen in die naiv empfindenden, unbewußt
das Höchste in der Kunst schaffenden Meister des Mittel-
alters eingetreten.

Aber auch hier macht sich der Zug der neuen Zeit
geltend. Sie hat auf dem Kunstgebiete mit so vielen
als ehrwürdig und unantastbar überkommenen Ansichten
aufgeräumt, daß es ein Wunder wäre, wenn sie in ihren
Anschauungen über die klassische Blütezeit der Malerei
auf dem alten Standpunkte verharrt hätte.

Und die Tage der Wunder sind vorüber. Der

Schnrewiklchen. von Viktor Müller.

darin bestehe, zu erzählen, sondern darzustellen. Form,
Farbe, Licht sind ihm nun allein die Zeichen, in welchen
er zu siegen erwartet. Er glaubt nicht mehr, daß ihm
das sogenannte Poetische als Ersatz für Mängel in Zeich-
nung, Kolorit, Lichtwirkung dienen könne. Er verficht
mit seinem Pinsel keine weltverbessernden oder umstürzen-
den Tendenzen mehr. Selbst wo die Elendmaler von
heute in die Fußstapfen ihrer Vorgänger zu treten scheinen,
geschieht es, das Auge ausschließlich auf den malerischen
Endzweck gerichtet. Wer von ihnen will heute Sozial-
politik treiben wie Courbet? Wer denkt daran, mit Pinsel
und Palette als Herold des spätern Kulturkampfes der
Kirche seinen Fehdehandschuh hinzuwerfen, wie einst der
große Kaulbach mit seinem Peter Arbues? Wer versucht
es, auf der Leinwand seine Gesinnungen statt seiner
Kuustprinzipien auszudrücken.

Der moderne Maler hat sich von der klügelnden
reflektierenden Kunst seiner unmittelbaren Vorgänger ab-
gewendet, und mit diesem Umschwung ist ein erneuertes

moderne Künstler, wie der moderne Mensch überhaupt,
beugt sich nicht in kindlicher Ehrfurcht vor der Über-
lieferung. Der Autoritätsglaube beeinflußt nur in sehr
geringem Maße seinen Gedankengang. An die Stelle
urteilsloser Anbetung, die sich eigentlich nur auf die
zwei Götter Raphael und Michel Angelo konzentrierte,
ist ein ruhiges Abwägen und Vergleichen getreten; auch
an sie legt der Künstler die kritische Sonde an, und
fragt sich, was nehme ich an, was ist veraltet, ver-
blichen, zu Grunde restauriert? Was hatte nur seine
Geltung für die Mitlebenden, für die es bestimmt war,
und als Dokument für die Zeit, in der es entstand?
Was ist ewig und behält seine Gültigkeit für alle Nach-
geborenen? Und mit kühler Achtung schreitet er an
manchem Werke der Unsterblichen vorüber, nicht, weil
er sich gegen ihre von altersher festbegründete Ober-
hoheit auflehnt, sondern weil sie zuweilen in einer
Zunge zu ihm sprechen, die ihm fremd geworden ist.
Dafür rückt er Meister, die ehemals nur lau gewürdigt
 
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