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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Hann, Pauline: Frühjahr-Ausstellungen in New York
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0386

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Frühjahr-AuFstellungen in Oek> Jork.

von p. Dann.

^Y»ie zwei bedeutendsten Ausstellungen des Jahres, für
welche die Artists und Akademiker alle Kräfte sammeln
und unsere Kunstgönner alle Preise spenden, die über-
haupt zur Verteilung gelangen, wurden auch diesmal fast
am selben Tage eröffnet. Dieses geichzeitige Erscheinen
der rivalisierenden Vereinigungen vor dem Publikum er-
leichtert ungemein den Ueberblick über die Kunstleistungen
eines Jahres, sowie auch das Urteil über das etwaige
Fortschreiten oder Zurückgehen der betreffenden Künstler-
gesellschaften. Ihr Wesen selbst kann sich naturgemäß
nur wenig verändern, die Akademiker bleiben konservativ,

Sirenen, von Hans Lhoma J88 0-

etwas nüchtern und schulgerecht in ihrem Charakter, die
Artists fortschrittlich, dem Abbrcnnen von Feuerwerken
geneigt; aber innerhalb dieser beiden Grenzen kann man
doch sehen, wo kräftigeres Leben und Gedeihen ist. Und
dieses ist zweifelsohne bei der Lociet)' c>5 American
Artists. Von Jahr zu Jahr werden ihre Ausstellungen
gehaltvoller und bedeutender. In der ersten Zeit er-
innerten sie an die unbeholfenen Gehversuche kleiner
Kinder, die bei jedem Schritt tasten und bei jedem Wag-
nis schnell vorwärtszukommen, zu Boden stürzen. Später
und noch im vorigen Jahre zeigte sich neben dem kühnen
und erfolgreichen Aufgehen im Freilicht und Impressionis-
mus eine förmlich sklavische Abhängigkeit von französischen
Vorbildern, so daß man sich in einem etwas verdünnten
Pariser Ausstellungssaal versetzt glaubte, wenn mau das
Haus der Artists in der 57. Straße betrat. In diesem
Jahre haben sie sich von dem Einflüsse ihrer Lehrmeister
frei gemacht und zeigen eine vollständige Beherrschung
ihrer Kunstmittel. Ja, wenn etwas deutlicher als alle
andern Zeichen ihr Ueberflügeln der Akademiker beweisen
würde, so ist es nicht nur die freie und förmlich spielende
Leichtigkeit, mit welcher sie Atmosphäre, Licht und Wasser

zu behandeln gelernt haben, was ihren Landschaften eine
entschiedene Ueberlegenheit gegenüber den alten Herrn mit
ihren Atelier-, Marinen- und Landansichten verleiht, son-
dern das reichliche Vorwiegen gut gezeichneter Figuren-
bilder. Es fehlt nicht am Haschen nach äußerlichen
Effekten, an theatralischen Posen, aber es ist mehr Rückgrat
in den jüngern amerikanischen Malern als in den alten.

Die Ehrenplätze im Vanderbiltsaale nehmen, wie
recht und billig, zwei Maler ein, die als Führer der
jüngern Künstler angesehen werden können, wiewohl sie
schon seit Jahren in England leben und dort zu hohen
Ehren gekommen sind: John S. Sargent uud Edwin
A. Abbey. Der elftere, der reine Rattenfänger von
Hameln, hat zwei Porträts beigesteuert, die einen das
Gruseln lehren könnten, so scharf, so grell, so pathologisch
ist der Einblick in den Charakter der dargestellten Per-
sonen. Die eine, ein junges Mädchen mit krampfhaft
im Schoße verschränkten Händen, einem gespannten Ge-
sichtsausdruck, der Typus der modernen Gesellschaftsdame
unserer Tage mit ihren zum Zerreißen angespannten
Nerven, ihrer Rastlosigkeit, die den körperlichen Zusammen-
bruch mit Bestimmtheit voraussehen lassen, die andere,
der Fremdenhasser und Nativist, Senator Cabot Lodge mit
seiner Brutalität unter äußerlichem Firnis zum Fürchten
deutlich wiedergegeben. Das sind keine schönen Konterfeis
im landläufigen Sinne, ja, ich würde mich nicht wundern,
wenn die beiden Besteller sie zu wenig „vorteilhaft" fänden,
aber es sind packende Darstellungen nicht bloß der be-
treffenden Personen, sondern ihres ganzen Typus, ja
unserer Epoche, wahre Dokuments lluinains. Ausgetre-
tenere Pfade schreitet diesmal Abbey mit seinem dekora-
tiven Bilde „Eine Pavane". Aber es ist ein Farben-
zauber und eine reife Meisterschaft in der Behandlung
der Architektur, der Stoffe und Figuren auf diesem Ge-
mälde, das in einem Renaissance-Saale zwei schöne Paare
in dem feierlichen Tanze dahingleitend zeigt, während in
der Vorhalle die Musiker spielen, die es zu einem „Clou"
der Ausstellung machen. Das treffliche Porträt eines
streitbaren New Jorker Kirchenmannes im Ornat bringt
Collins, Beckwith hat eine elegante Dame in Schiller-
seide, Julian Story eine ungemein flott gemalte Sou-
brette. Den Landschaftspreis erhielt Bruce Crane für
ein stimmungsvolles „Frühlingsvorzeichen" genanntes Bild,
aber es sind Dutzende au den Wänden der „Society", die
mit gleichem Rechte eine Auszeichnung beanspruchen dürften.
Bizarr und fesselnd ist Alexander Harrisons Marine-
bild „Te Zranck lAiroir", der Ozean im Sommer an
einem flachen Strande, die Sonne darüber, welche der,
sich dünn über den Strand ausbreitenden Wasserschicht
ein glasiges, spiegelartiges, förmlich, hartes Aussehen ver-
leiht. Das Ganze sieht ungewöhnlich, auf den ersten
Blick befremdend aus, auf den zweiten fühlt man die
innere Wahrheit der Auffassung. Eines seiner prächtigen,
leuchtenden Schneebilder stellte Walter Palmer aus,
Hopkinson einen Teich, auf welchem Kinder ihre kleinen
Boote segeln lassen, Wasser und Himmel vortrefflich,
weniger gelungen der Kranz von kleinen Zuschauern am
Teichrande. Der 1500 Dollarpreis ging auf eine jener
Phantasien aus Wellen und Frauenleibern über, wie sie
nun schon seit einigen Jahren den Geschmack der Preis-
 
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