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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Kaden, Woldemar: Mit fremden Augen, [3]
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Ausstellungen und Sammlungen - Personal- u. Atelier-Nachrichten - Preisausschreiben - Denkmäler
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0103

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Mt fremden Augen, von lvoldemar Raden.


blick der Erhebung der Hostie zu Gott seufzen: „^.ckoremus,
ackoremus, ackoreinus!"

Zufrieden mit der Übereinstimmung zwischen dem,
was sie im Innersten fühlten und dem, was sie in der
Welt der Formen sahen, suchten die Florentiner nicht
in der Farbe oberflächliche Wirkungen, die nicht im Ein-
klang gestanden hätten mit ihrer tiefen Feinheit und nicht
dazu gedient, die Kraft der Zeichnung augenscheinlicher
zu machen, die sie ausbildeten mit der Geduld des Ana-
tomikers und mit der beweglichen Phantasie eines Dichters.

Hinter einigen Madonnen Botticellis findet sich ein
nüchtern-heitres Licht über die Landschaft gebreitet, das

Mn Tikusbogrn in Rom. von Franz von Lenbach.

(Gemalt um (857.)

an die sanften Sonnenuntergänge von Fiesole oder im
Val d'Arno erinnert und das so gewissenhaft stimmt
zu der göttlichen Traurigkeit der gekrönten und von den
Engeln angebeteten jungen Gottesmutter. Und die Figuren
in ihrer einfachen Vornehmheit sind in starken säubern
Linien, wie in Bronze graviert, ausgeführt: es scheint,
als ob der Geist Dantes und Macchiavellis, dem das
starke, schöne und wahre Knochengerüst des Gedankens,
ohne weitere Reizmittel genügte, derselbe sei, der die
Werke solcher toskanischer Meister leitete.

Trotzdem hat Ghirlandaio mit der Behauptung
„alle Malerei beruhe auf der Zeichnung" nicht ganz
rechts Außer der Linie und dem Gedanken gilt es, dem
Himmel einen Funken zu rauben und in der Farbe zu
entfachen, dergestalt die Leinwand mit der vollkommene»
Illusion des Wirklichen belebend: das war das Licht.

Und das Licht war die Muse der Venezianer.

Besser als andere erfaßten die Venezianer dies
Lächeln, das jeden Tag im Universum stirbt und wieder-
erscheint, diese zitternde Freude, diese Harmonie des
menschlichen Auges, deren Klänge sich ausbreiten durch
ferne und unbegrenzte Perspektiven: bald blitzend wie
ein großer Regen goldener Pfeile, bald düster wie die
Verzweiflung, bald scherzend-heiter wie Schmetterlings-
flügel, unheimlich wie ein wüster Kampf, je nach Jahres-
zeit, Tageszeit, Ort, nach Wind und Wetter, nach Wolken,
die vorüberziehen, nach denen die sich enthüllende Göttin
ihre Schritte mißt, ihre Bewegungen richtet und ihre
Wunder auf der Erde.

Diese beschwingte, unfaßbare Gottheit des Lichts,
mit welcher unendlichen Fülle von Reizen verbreitet sie
sich über die Wasser, inmitten deren Venedig liegt. Man
könnte sagen, die Venezianer Maler lernten diese Reize
auf der Leinwand wiederholen, wie das Kind die Worte
vom Munde der Mutter wiederholen lernt. Die vene-
zianische Malerei, mehr als aus der Beobachtung, scheint
aus dem Eindruck geboren. Die intime und spontane
Übereinstimmung zwischen Künstler und Dingen bewirkt,
daß Dinge, die er am gewöhnlichsten vor Augen hat,
in ihm eine „Spezialmarke" erzeugen und diese Marke,
dieses Merkmal in den Venezianern ist nun eben die
Farbe, durch die sie aus tausenden herauszukennen sind.

Die Farbengebung der andern Maler, verglichen
mit jener der Venezianer, erscheint wie eine dichte feste
Oberfläche, die das Durchscheinen der Strahlen nicht
zuläßt, dieses Fließen, Walten und Weben von Atomen,
die in den venezianischen Bildern die Figuren einspinnen,
den Tinten die Grellheit nehmen, den Gewandungen fast
die Wärme des Körpers und dem ganzen Bilde selbst
das in der Luft kreisende Leben mitteilen.

Ihr mögt die Hand vollnehmen und ganze Pinsel-
ladungen voll Farbe auf die Leinwand werfen, blendend,
wie beispielsweise das Türkischblau Guido Renis und
das flammende und dunkle Rot Figinis und Crespis und
andrer Maler der jesuitischen Periode: zwischen eurem
Kolorit und dem der Venezianer läuft immer der Unter-
schied, der besteht zwischen der Farbenauslage eines
Lackierers und einem lebendigen Sonnenstrahl, oder zwi-
schen einem lärmend gemeinen Klang und dem hohen Ton,
der den Eindruck individueller Empfindung in sich schließt.

Das Licht, der ewige Maler des Unendlichen, hat
allerverschiedenste Darstellungen und darunter viele, die
eine äußerste Feinheit erfordern, sie aufzufinden, aufzu-
fassen und sie zu reproduzieren. In einigen alten
Venezianer Bildern kann man diese feine Kunst bewundern.
Der Veronese ist Meister darin, kein andrer hat mit
größerer Leichtigkeit die zarten feinen Reflexe wieder-
gegeben, durch welche ein Körper eingehüllt wird und
aufleuchtet, wie durchscheinend durch einen lichtvollen
Schleier, und die, was die Farbe betrifft, das sind, was
das Echo ist bezüglich des Tons. So etwas freilich
kann kein Meister seinen Schüler lehren: es lehrt es ihm
sein Geist und die Natur und jene besondere Natur, die
ihn umgiebt und die ihm einen Teil abläßt, wenn auch
sehr gering im Verhältnis zu der Unermeßlichkeit und
Tiefe ihrer göttlichen Lebensäußerung.
 
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