Etwas über moderne Wertschätzung mittelalterlicher Kunst, von H. Hann.
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wurden, weil man in ihnen die Richtung auf das Gegen-
ständliche vermißte, an die erste Stelle, weil ihre Werke
ihm die Verkörperung des Kunstideals scheinen, nach
welchem er strebt.
Wir sehen so das merkwürdige Schauspiel, daß,
während sich in unserer kühl rechnenden und erwägenden
Zeit in allen anderen Kunstgebieten ein Hang zur Re-
flexion bemerkbar macht (will doch selbst die Musik, die
aus der Empfindung Geborene, zur Empfindung Sprechende
heute sich mit Vorliebe an unsere Gedanken wenden),
die Malerei zu ihrem eigentlichen Gebiete, das Gesehene
wahrhaft darzustellen, heimzufinden sucht. Und so ist
dem modernen Kunstjünger der ursprünglichste, naivste,
am wenigsten klügelnde, oder eine Tendenz verfolgende
Künstler aus dem goldenen Zeitalter der Malerei auch der
Bedeutendste.
Mit ungeheuchelter Bewunderung steht er vor Sandro
Botticellis „Primavera". Ihre rührend knospenhaften
Gestalten, der kindlich unbeholfene Liebreiz, der über
dem Ganzen ausgegossen liegt, Komposition, Auffassung,
Farbe atmen eine naive Freude des Gelingens; es geht
wie ein schöpferisches „es werde" von dieser Allegorie
des Frühlings aus, und sie erscheint uns heute als der
verkörperte Frühling der anbrechenden herrlichen Kunst-
zeit selbst. Die zwölf musizierenden Engel auf Fra
Angelicos Flügelaltar erfüllen den modernen Künstler
mit derselben innigen Freude, die einst ihr Schöpfer
empfunden haben muß, als er diese himmlisch liebens-
würdigen Gestalten ins Dasein rief. Gegenüber der un-
eingeschränkten Würdigung, die sie auch unter den radikalen
zeitgenössischen Malern finden, möchte mancher behaupten,
daß eine Epoche sich nicht mit einem Schlagworte charak-
terisieren lasse. Realistisch will die Kunst unserer Tage
heißen und nur das Wirkliche in den Kreis ihrer Dar-
stellung und Beachtung ziehen. Und etwas weniger Reales
als diese anscheinend aus Rosen und Lilien zusammen-
gesetzten frohlockenden Geschöpfe läßt sich auf den ersten
Blick kaum denken. Der zweite freilich belehrt uns eines
Bessern, uns zeigend, daß sie sich mit der Vorstellung
der innern Wahrheit decken. Es ist ein höheres, ideales
Leben, das sie erfüllt, aber es ist Leben.
Stark wie der Eindruck ist, den Botticelli und Fiesole
auf unsere Zeitgenossen machen, ein dritter Künstler übt
einen weit nachhaltigern. Es ist der Florentiner Farben-
zauberer Del Sarto. Sonst wurde er wohl auch nicht
vergessen, wenn man die großen Meister aufzählte, die
zu Anfang des 16. Jahrhunderts Florenz zum Mittel-
punkte des aufblühenden Kunstlebens machten, aber neben
dem jungen Raffael mußte er sich doch in der Wert-
schätzung der Nachwelt in bescheidenem Schatten halten.
Dem modernen Künstler ist er der größten einer, wenn
nicht der größte Madonnenmaler der Renaissance, denn
seine frische kräftige Natürlichkeit und die unvergänglich
leuchtenden Farben seiner Tafelbilder und Fresken sprechen
zu ihm mit der Stimme, die ihn selbst auf die Höhe
des künstlerischen Schaffens zu führen verheißt. In be-
scheidenem Abstande fühlt er sich als Blut von dem
Bluie des herrlichen Andrea. Er stellt unbedenklich die
Madonna vom Jahre 1517 in den Uffizien neben die
Granduca, ja neben die Dresdner; überzeugt, daß ihre
Farbenpracht, ihre Hoheit, die Majestät, mit der sie aus
der Halbsäule und aus den sie umgebenden Heiligen vor
unseren Augen zu unerreichbarer Größe emporzuwachsen
scheint, von keinem Meister des Mittelalters erreicht
wurde. Eine andere Offenbarung höchster und wahrster
Kunst sind ihm die Fresken in der Vorhalle zur Kirche
Santa Annunziata. Alles, was er heute mit dem ganzen
Einsätze ehrlichen Strebens zu erreichen sucht, Wahrheit,
sprühendes Leben, erscheint hier wie mit spielender Leichtig-
keit gewonnen. Aber nur hier, und in den zahlreichen
Gemälden im Pittipalaste, dann bei den grau in grau
gehaltenen Fresken im ehemaligen Klosterhof dello Scalzo.
Sowie dieser wunderbare Künstler seinem Heimalboden
entrissen wird, verliert er, wie manche besonders zarte
Blume, die man entwurzelt hat, Farbenschmelz und Duft.
Nndrrbildnis. von Viktor Müller.
Del Sarto in Wien und im Louvre überragt die vielen
trefflichen Meister, die im Mittelalter Ruhm und An-
sehen gewannen, nicht um Zollhöhe. Sein Madonnenbild
in Rom hat viel von dem Farbenzauber eingebüßt, den
die Florentiner Bilder sich erhalten haben. Nur wenn
dieser Antäus seinen Heimatsboden berührt, strömt eine
unbezwingliche Kraft von ihm aus.
Die modernen Wahrheitssucher haben ihn zu ihrem
Schutzheiligen erkoren. Sie streben mit Einsatz ihres
Wollens und Könnens an, ihm zu folgen, wie er, frei
herrschend über alle technischen Hilfsmittel der Kunst,
über ein Kolorit von durchsichtiger Klarheit und wunder-
barem Farbenschmelz, sich an das wirkliche Leben, an
die Erscheinungsformen, wie sie sich dem Auge darbieten,
anzulehnen.
Es ist der Weg, der die moderne Kunst auf eine
neue Höhe der Vollendung führen wird. Vorläufig sehen
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Die U-nst fLr All- XII
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wurden, weil man in ihnen die Richtung auf das Gegen-
ständliche vermißte, an die erste Stelle, weil ihre Werke
ihm die Verkörperung des Kunstideals scheinen, nach
welchem er strebt.
Wir sehen so das merkwürdige Schauspiel, daß,
während sich in unserer kühl rechnenden und erwägenden
Zeit in allen anderen Kunstgebieten ein Hang zur Re-
flexion bemerkbar macht (will doch selbst die Musik, die
aus der Empfindung Geborene, zur Empfindung Sprechende
heute sich mit Vorliebe an unsere Gedanken wenden),
die Malerei zu ihrem eigentlichen Gebiete, das Gesehene
wahrhaft darzustellen, heimzufinden sucht. Und so ist
dem modernen Kunstjünger der ursprünglichste, naivste,
am wenigsten klügelnde, oder eine Tendenz verfolgende
Künstler aus dem goldenen Zeitalter der Malerei auch der
Bedeutendste.
Mit ungeheuchelter Bewunderung steht er vor Sandro
Botticellis „Primavera". Ihre rührend knospenhaften
Gestalten, der kindlich unbeholfene Liebreiz, der über
dem Ganzen ausgegossen liegt, Komposition, Auffassung,
Farbe atmen eine naive Freude des Gelingens; es geht
wie ein schöpferisches „es werde" von dieser Allegorie
des Frühlings aus, und sie erscheint uns heute als der
verkörperte Frühling der anbrechenden herrlichen Kunst-
zeit selbst. Die zwölf musizierenden Engel auf Fra
Angelicos Flügelaltar erfüllen den modernen Künstler
mit derselben innigen Freude, die einst ihr Schöpfer
empfunden haben muß, als er diese himmlisch liebens-
würdigen Gestalten ins Dasein rief. Gegenüber der un-
eingeschränkten Würdigung, die sie auch unter den radikalen
zeitgenössischen Malern finden, möchte mancher behaupten,
daß eine Epoche sich nicht mit einem Schlagworte charak-
terisieren lasse. Realistisch will die Kunst unserer Tage
heißen und nur das Wirkliche in den Kreis ihrer Dar-
stellung und Beachtung ziehen. Und etwas weniger Reales
als diese anscheinend aus Rosen und Lilien zusammen-
gesetzten frohlockenden Geschöpfe läßt sich auf den ersten
Blick kaum denken. Der zweite freilich belehrt uns eines
Bessern, uns zeigend, daß sie sich mit der Vorstellung
der innern Wahrheit decken. Es ist ein höheres, ideales
Leben, das sie erfüllt, aber es ist Leben.
Stark wie der Eindruck ist, den Botticelli und Fiesole
auf unsere Zeitgenossen machen, ein dritter Künstler übt
einen weit nachhaltigern. Es ist der Florentiner Farben-
zauberer Del Sarto. Sonst wurde er wohl auch nicht
vergessen, wenn man die großen Meister aufzählte, die
zu Anfang des 16. Jahrhunderts Florenz zum Mittel-
punkte des aufblühenden Kunstlebens machten, aber neben
dem jungen Raffael mußte er sich doch in der Wert-
schätzung der Nachwelt in bescheidenem Schatten halten.
Dem modernen Künstler ist er der größten einer, wenn
nicht der größte Madonnenmaler der Renaissance, denn
seine frische kräftige Natürlichkeit und die unvergänglich
leuchtenden Farben seiner Tafelbilder und Fresken sprechen
zu ihm mit der Stimme, die ihn selbst auf die Höhe
des künstlerischen Schaffens zu führen verheißt. In be-
scheidenem Abstande fühlt er sich als Blut von dem
Bluie des herrlichen Andrea. Er stellt unbedenklich die
Madonna vom Jahre 1517 in den Uffizien neben die
Granduca, ja neben die Dresdner; überzeugt, daß ihre
Farbenpracht, ihre Hoheit, die Majestät, mit der sie aus
der Halbsäule und aus den sie umgebenden Heiligen vor
unseren Augen zu unerreichbarer Größe emporzuwachsen
scheint, von keinem Meister des Mittelalters erreicht
wurde. Eine andere Offenbarung höchster und wahrster
Kunst sind ihm die Fresken in der Vorhalle zur Kirche
Santa Annunziata. Alles, was er heute mit dem ganzen
Einsätze ehrlichen Strebens zu erreichen sucht, Wahrheit,
sprühendes Leben, erscheint hier wie mit spielender Leichtig-
keit gewonnen. Aber nur hier, und in den zahlreichen
Gemälden im Pittipalaste, dann bei den grau in grau
gehaltenen Fresken im ehemaligen Klosterhof dello Scalzo.
Sowie dieser wunderbare Künstler seinem Heimalboden
entrissen wird, verliert er, wie manche besonders zarte
Blume, die man entwurzelt hat, Farbenschmelz und Duft.
Nndrrbildnis. von Viktor Müller.
Del Sarto in Wien und im Louvre überragt die vielen
trefflichen Meister, die im Mittelalter Ruhm und An-
sehen gewannen, nicht um Zollhöhe. Sein Madonnenbild
in Rom hat viel von dem Farbenzauber eingebüßt, den
die Florentiner Bilder sich erhalten haben. Nur wenn
dieser Antäus seinen Heimatsboden berührt, strömt eine
unbezwingliche Kraft von ihm aus.
Die modernen Wahrheitssucher haben ihn zu ihrem
Schutzheiligen erkoren. Sie streben mit Einsatz ihres
Wollens und Könnens an, ihm zu folgen, wie er, frei
herrschend über alle technischen Hilfsmittel der Kunst,
über ein Kolorit von durchsichtiger Klarheit und wunder-
barem Farbenschmelz, sich an das wirkliche Leben, an
die Erscheinungsformen, wie sie sich dem Auge darbieten,
anzulehnen.
Es ist der Weg, der die moderne Kunst auf eine
neue Höhe der Vollendung führen wird. Vorläufig sehen
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