Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0159
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Becker, Benno: Der gute Rat: ein Zwiegespräch
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Der gute Rat.
Frühlingssbrnd. von Fritz Bverb eck.
Ihnen nun abrate, wenn ich nein sage? Dann
laufe ich mein ganzes Leben herum und denke,
du hast ein Genie erstickt, hast einen Raffael um-
gebracht I Und mein Gewissen läßt mir keine Ruhe
und ich kann mich für den Mord nicht einmal
bestrafen lassen. Also Sie wollen mir für alle Ewig-
keit solche Last auf die Seele wälzen? Sie wollen
mir mein ganzes Leben zerstören? Das ist doch wohl
nicht Ihre Absicht. Also, junger Mann, knüpfen Sie
Ihre Mappe zu, und Gott befohlen; hat mich gefreut,
Ihre Bekanntschaft zu machen. — Uebrigens, wenn
Sie Geld haben, recht viel Geld, so daß Sie nie ums
tägliche Brot zu sorgen brauchen, dann malen Sie
getrost drauf los! Es werden heutzutage so viele
Maler, bloß weil sie Geld haben und sonst nicht
wissen, was sie thun sollen. Da kommt's auf einen
mehr oder weniger nicht an.
Jüngling: Aber mein Vater . . .
Meister: Ach so, Ihr Vater ist ein vorsichtiger Mann,
der will für alle Fälle Sicherheit haben.
Jüngling: Und er meint, das muß man doch sagen
können, ob einer Talent hat.
Meister: Gewiß, kann man das! Der Titian, haben Sie
schon mal von dem gehört, der hat Talent, und der
Rembrandt, und noch ein paar andere.
Jüngling: Ach, so meine ich es nicht . . .
Meister: Aber ich meine es so. Von Titian kenne ich
die Früchte unsäglichen Fleißes, rastloser Studien.
Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Und Sie bringen
mir da ein paar Blättchen, so zum Spaß hingehuscht,
weil Sie noch gar nicht wissen, was Arbeit ist, und
noch gar nicht wissen können, wie man arbeiten muß.
Und da soll ich Ihr Talent zur Welt bringen?
Jüngling: Also, ich kann es nie erfahren. . .
Meister: Gewiß, Sie können es erfahren! So in zwanzig
Jahren etwa, wenn Sie jeden Tag acht Stunden
fleißig gearbeitet haben, dann kommen Sie wieder,
dann will ich Ihnen sagen, ob Sie Talent haben
und ob ich Ihnen raten kann, Maler zu werden.
Jüngling: Ach, Meister, Sie verspotten mich.
Meister: Was, Spott? Nein, es ist mir bittrer Ernst!
Ich Hab' schon manchen gekannt, von dem alle meinten,
er hat kein Talent, keine Spur von Talent, und
wirklich, es war lange Zeit nichts Rechtes, was er
zu stände brachte. Aber auf einmal kam es über ihn,
er fand seine Sprache und wurde ein wirklicher
Meister und machte die falschen Propheten zu Schanden.
Und andere wieder, die waren Genies von jung
auf. Alles staunte sie an und bewunderte sie. Und
so lange sie in den Schulen waren unter tüchtigen
Meistern, machten sie auch recht brave Schularbeit.
Aber als sie dann ihr Genie nun leuchten lassen
sollten, da war die Geschichte zu Ende. Nichts Ge-
scheites sprang raus und hatten doch alle silbernen
und goldenen Medaillen bekommen und was Tüchtiges
gelernt. Und wissen Sie, was diese Genies jetzt
machen? Die am meisten Glück hatten, malen auf
Bestellung allerlei Handelsbilder, oder sind Zeichen-
lehrer bei den höheren Töchtern. Die anderen stümpern
sich so durch mit kümmerlichen, elenden, geisttötenden
Pfuscharbeiten. Und die ärmsten Teufel sind ver-
kommen und verdorben. Und sie alle fluchen auf
die Welt, die sie nicht verstanden hat.
Jüngling: Ach, Meister, Sie nehmen mir ganz den
Mut. Dann sollte ja keiner sich dazu entschließen . . .
Meister: Das wäre auch recht gut. Es giebt schon viel
Der gute Rat.
Frühlingssbrnd. von Fritz Bverb eck.
Ihnen nun abrate, wenn ich nein sage? Dann
laufe ich mein ganzes Leben herum und denke,
du hast ein Genie erstickt, hast einen Raffael um-
gebracht I Und mein Gewissen läßt mir keine Ruhe
und ich kann mich für den Mord nicht einmal
bestrafen lassen. Also Sie wollen mir für alle Ewig-
keit solche Last auf die Seele wälzen? Sie wollen
mir mein ganzes Leben zerstören? Das ist doch wohl
nicht Ihre Absicht. Also, junger Mann, knüpfen Sie
Ihre Mappe zu, und Gott befohlen; hat mich gefreut,
Ihre Bekanntschaft zu machen. — Uebrigens, wenn
Sie Geld haben, recht viel Geld, so daß Sie nie ums
tägliche Brot zu sorgen brauchen, dann malen Sie
getrost drauf los! Es werden heutzutage so viele
Maler, bloß weil sie Geld haben und sonst nicht
wissen, was sie thun sollen. Da kommt's auf einen
mehr oder weniger nicht an.
Jüngling: Aber mein Vater . . .
Meister: Ach so, Ihr Vater ist ein vorsichtiger Mann,
der will für alle Fälle Sicherheit haben.
Jüngling: Und er meint, das muß man doch sagen
können, ob einer Talent hat.
Meister: Gewiß, kann man das! Der Titian, haben Sie
schon mal von dem gehört, der hat Talent, und der
Rembrandt, und noch ein paar andere.
Jüngling: Ach, so meine ich es nicht . . .
Meister: Aber ich meine es so. Von Titian kenne ich
die Früchte unsäglichen Fleißes, rastloser Studien.
Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Und Sie bringen
mir da ein paar Blättchen, so zum Spaß hingehuscht,
weil Sie noch gar nicht wissen, was Arbeit ist, und
noch gar nicht wissen können, wie man arbeiten muß.
Und da soll ich Ihr Talent zur Welt bringen?
Jüngling: Also, ich kann es nie erfahren. . .
Meister: Gewiß, Sie können es erfahren! So in zwanzig
Jahren etwa, wenn Sie jeden Tag acht Stunden
fleißig gearbeitet haben, dann kommen Sie wieder,
dann will ich Ihnen sagen, ob Sie Talent haben
und ob ich Ihnen raten kann, Maler zu werden.
Jüngling: Ach, Meister, Sie verspotten mich.
Meister: Was, Spott? Nein, es ist mir bittrer Ernst!
Ich Hab' schon manchen gekannt, von dem alle meinten,
er hat kein Talent, keine Spur von Talent, und
wirklich, es war lange Zeit nichts Rechtes, was er
zu stände brachte. Aber auf einmal kam es über ihn,
er fand seine Sprache und wurde ein wirklicher
Meister und machte die falschen Propheten zu Schanden.
Und andere wieder, die waren Genies von jung
auf. Alles staunte sie an und bewunderte sie. Und
so lange sie in den Schulen waren unter tüchtigen
Meistern, machten sie auch recht brave Schularbeit.
Aber als sie dann ihr Genie nun leuchten lassen
sollten, da war die Geschichte zu Ende. Nichts Ge-
scheites sprang raus und hatten doch alle silbernen
und goldenen Medaillen bekommen und was Tüchtiges
gelernt. Und wissen Sie, was diese Genies jetzt
machen? Die am meisten Glück hatten, malen auf
Bestellung allerlei Handelsbilder, oder sind Zeichen-
lehrer bei den höheren Töchtern. Die anderen stümpern
sich so durch mit kümmerlichen, elenden, geisttötenden
Pfuscharbeiten. Und die ärmsten Teufel sind ver-
kommen und verdorben. Und sie alle fluchen auf
die Welt, die sie nicht verstanden hat.
Jüngling: Ach, Meister, Sie nehmen mir ganz den
Mut. Dann sollte ja keiner sich dazu entschließen . . .
Meister: Das wäre auch recht gut. Es giebt schon viel