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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Kirchbach, Wolfgang: Aquarellistische Betrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0212

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Aquarellistiscke Betrachtungen.

der Deckfarben und des Gouache als Hilfsmittel bedient,
wie es neuerdings immer mehr Brauch geworden ist.
In Dresden haben auf der letzten internationalen
Aquarellausstellung einige schottische Künstler zum Beispiel
Aufsehen erregt durch Landschaften und Tierstücke, die
ganz mit der farbigen Realität und Kraft der Töne
wirkten wie die Bilder der altniederländischen Kleiumaler
und Landschafter. Ein solcher Künstler ist Austen
Brown, der „Kühe im Stall", einen „Lumpensammler",
eine bäuerische „Abendstimmung" und anderes mit einer
Energie, Tiefe und Fülle malt, daß man kaum glaubt,
die leichte Technik des Aquarells vor sich zu sehen. Noch
weiter in dieser Kunst hat cs der Schotte Nisbeth
gebracht. Er malt ebene Flachlandschaften unter wolken-
bedecktem Himmel, die ganz den Ton und die Stimmung
von Ruysdaelschen Wolkenlandschaften haben; derbraune
Grundton, auf dem die graue, schwere, regenschwangere,
nebeldichte Luft mit ihren aufgeballten Wolkenformen
steht, die wunderbare Fernwirkung der flachen Land-
schaft, die Räumlichkeit, in welche die feinbeobachteten
Farbenwerte alles projizieren, die Kraft der Farbe dabei
— alles wirkt zusammen zu Eindrücken, wie sie Ruysdael
ähnlich der Natur abgelauscht hat. Es ist ganz über-
raschend, wie diese schottischen Meister eine schöne ölbild-
mäßige Tiefe erreichen, wie sie Luft und Raum abzu-
stimmen und hervorzuholen wissen und bei einer gewissen
Größe der Naturanschauung, die ollem Kleinlichen fremd
ist, eine warme Macht und Kernigkeit der malerischen
Erscheinung erreichen. Es ist eine alte Regel, die aber
für die Aquarellmalerei noch eine ganz besondere Be-
deutung hat: der Künstler wird immer am harmonischsten

Lektüre. Nack einem Aquarell von Aristide ?artorio.

wirken, der genau die Grenze einer bestimmten Seh-
entfernung festhält und die unter solchen Umständen
eintretende Farbenfülle und wechselseitige Bestimmung
der Farbenwerte taktvoll wiedergiebt. Das Aquarell hat
besonders früher, in den Anfängen der Entwickelung
dieser Technik und bei den meisten Dilettanten dazu ver-
führt, Töne und Reflexe gewissermaßen nach verschiedenen
Sehbedingungen zu bringen; Künstler, denen an einer
peinlichen Ausführung liegt und welche durch den Reiz
der Miniaturmalerei wirken wollen, versehen es, wie
auch heute noch manche Italiener und Spanier oft hierin;
sie überladen ihr Kolorit mit Farbenspezialitäten, die
dann mehr ein Mosaik, als einen in sich geschlossenen
Natureindruck Hervorbringen. Auf diesem Standpunkt
war zum Beispiel neuerdings Scipione Simoni an-
gekommen, nicht zu verwechseln mit Gustavo Simoni,
von dessen aquarellistischer Kunst hierbei eine Probe mit-
geteilt ist. Und doch liegt der größte Reiz des Aquarells
gerade darin, wie es oft mit nur wenig Tönen, mit ganz
einfachen, aber charakteristischen Handbewegungen der
Pinselführung die Augenblicksaufnahme eines Naturein-
druckes bewirken kann. Jene Schotten nun scheinen
höchst bewundernswert gerade durch den Takt, mit dem
sie wissen, wie weit sie zu gehen haben, um ganz
realistisch zu wirken und doch nicht zuviel aus der Land-
schaft herauszusehcn.

Es liegt in der Natur des Mittels, mit dem der
Aquarellist arbeitet, daß er gerade die flüchtigen Ein-
drücke des Sehens, den ersten Blick, den man auf eine
Landschaft oder einen Gegenstand wirft, mit einer gewisfen
Leichtigkeit festhalten kann. Alle möglichen Luft- und
Landschaftsstimmungen, alle möglichen Stimmungen land-
schaftlicher Poesie vermag er als solche gewissermaßen
leichter zu isolieren und festzulegen, als die schwerere
Technik des Oeles. Je länger man in der Betrachtung
einer Landschaft verweilt, je mehr man hinsieht und ihre
Einzelnheiten studiert, desto mehr vertieft sich bekanntlich
das Spektrum der Farben in unserem Auge, voller und
reicher, gesättigter wird der ganze Eindruck und bei der
Anpassung unserer Sehnerven geschieht es, daß eine
sonnenhelle Landschaft, die wir im Anfang mit den blen-
denden, unvermittelten Tönen des Freilichtmalers sahen,
allmählich von dieser Blendung der Farben gegeneinander
verliert und auf den wärmer und dunkler gestimmten
Ton des gedämpfteren Alelierlichts sich zurückstimmt. Mit
dieser allmählichen Veränderung in unsrem Auge, das
sich anpaßt, wird aber auch die malerische und poetische
Stimmung eine andere; die innere Wirklichkeit und Stoff-
lichkeit scheint gesteigert, die Poesie des Augenblicksbildes
schwindet und eine dauerhaftere, schwerere und körper-
lichere Poesie wird erzeugt. Die stofflichere, erdigere
Farbe der Oeltechnik erweist sich als das Mittel, welches
in diesem Zustand des Sehens die natürliche Sprache
zur Wiedergabe der Erscheinungsform wird.

Es ist aber klar, daß der Aquarellist in seinem
flüchtigeren und flüssigeren Elemente gerade jene zarten
Neueroberungen des Sehens, die unser modernes Auge
macht, leichter festhält und damit denn auch der Eindruck
einer so großen Mannigfaltigkeit des Sehens hervor-
gebracht wird, wie man ihn auf den Aquarellaus-
stellungen hat.

Wenn jene Schotten beweisen, welche ölbildmäßige
Kraft des ruhenden, dauernden Beobachters beim takt-
 
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