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Der Silberschatz von Boscoreale.
ausgießt, diese widerliche Handlung mit dem Ausruf
„Verehre pflichtschuldigst den Kehricht" begleitend. Wie
aber um das Grauenhafte dieser ganzen Schilderungen
durch den schärfsten Kontrast noch zu verstärken, ist um
den Lippenrand der Becher eine Rosenguirlande ge-
wunden, die Blütenpracht und Blumenduft über die
Totendarstellung ausbreitet.
Wir haben uns im vorstehenden wesentlich mit dem
Schmuckwerk der Becher beschäftigt und wollen, bevor
wir uns den noch übrigen Stücken
des Schatzes zuwenden, noch einen
Blick auf ihre Formen werfen.
Ornamentik und Form finden wir
hier im ganzen unabhängig von-
einander und an Stelle des tek-
tonischen Prinzips, das früher für
die Dekoration geherrscht hatte, viel-
fach weitgehende Freiheit. Selbst
auf die Henkel ist in der Anlage der
Verzierung nicht immer Rücksicht ge-
nommen, und ein Motiv des Zu-
sammenstimmens von Henkelform
und Gefäßdekoration, wie wir es
z. B. bei dem schönen Hildesheimer
Becher (Fig. 9) bewundern, finden wir in dem Schatze
von Boscoreale nicht. Die Formen sind durchweg ver-
hältnismäßig einfach und im Vergleich namentlich zu den
Hildesheimer Gefäßen wenig abwechslungsreich. Unsere
Abbildungen geben von den Hauptformen eine anschau-
liche Vorstellung. Die Gestalt der Skelettbecher erinnert
etwa an unsere modernen Würfelbecher; am oberen Rand
sitzt ein ringförmiger Henkel, bequem zum Heben des Ge-
fäßes. Ist an diesen Exemplaren die Wandung fast grade,
so finden wir sie an einem anderen mit einem feinen
Schuppen- oder Federmuster verzierten Paar nach der
Mündung zu weit ausgeschweift. Die kelchförmigen Becher
mit den Bildern der Störche und Kraniche (Fig. 1 und 2),
eine Form, die sehr beliebt war, wie sie denn in den
Kentaurenbechern von Pompeji (Fig. 13 und 14) und sonst
gleichartig wiederkehrt, erfreuen durch ihre graziöse Gestalt.
Aber an Zierlichkeit stehen sie doch zurück hinter dem
wundervollen, noch viel leichter und zarter behandelten
Guirlandenbecher aus Hildesheim (Fig. 15), der eine Art
Uebergang von der Kelchform zu den napfartigen Gefäßen
der Art bildet,
wie wir sie in
der vollendete-
sten Ausgestal-
tung in den Ken-
taurenbechern
des Schatzes von
Bernay(Fig. 16)
finden. Fast die
gleiche Bildung
wie diese haben
die Olivenbecher
von Boscoreale,
während die
kleineren Becher
mit den Still-
leben undKüchen-
stücken (Fig. 3
und 4) dieselbe
Form gedrückter und weniger frei entwickelt zeigen. Sämt-
liche Becher stimmen technisch darin überein, daß die Füße
und Henkel angelötet und daß die eigentlichen Gefäß-
körper aus zwei Teilen gebildet sind, einem äußeren
Mantel, von sehr dünner Wandung, aus dessen Fläche
der Bildschmuck Herausgetrieben ist, und einem stärkeren
glatten Einsatz, der die Flüssigkeit aufnimmt. Gern hat
man auf der Außenseite, um die Schmuckteile zu heben,
Vergoldung angebracht, die hier durchweg auf heißem
Wege, durch Ausschmelzen, ausge-
führt ist. Aber im ganzen ist an
den Gefäßen aus Boscoreale spar-
samer davon Gebrauch gemacht, viel
sparsamer als an dem Geschirr des
Hildesheimer Schatzes, der sich auch
hierin als der reichere und kostbarere
erweist: Zu Stücken, wie dem Hildes-
heimer Guirlandenbecher (Fig. 15),
an denen der ganze Grund des äuße-
ren Mantels vergoldet ist, findet sich
in dem neuen Funde nichts Ent-
sprechendes.
Zu diesen verschiedenen Formen
der Trinkgefäße treten als beson-
dere Gruppe noch die Schalen hinzu. Die Schale ist in
der römischen Zeit als eigentliches Trinkgeschirr nicht
mehr so beliebt und viel gebraucht gewesen, wie bei den
Griechen des fünften und vierten Jahrhunderts, sie hat
aber als Prunkgeschirr, als Ausstattungsstück für Zimmer
und Tafel eine neue Verwendung gefunden. Wirkliche
Trinkschalen sind unter dem erhaltenen Silbergeschirr ganz
selten. Der Hildesheimer Schatz enthält ein Paar von
solchen, deren eine Fig. 11 abgebildet ist. Sie hat innen
— dem praktischen Gebrauch angemessen — einen glatten
Einsatz, auf dem äußeren Mantel dagegen eine sehr reiche
Verzierung von Blättern und stilisierten Ranken, die mit
Vögeln und Schmetterlingen belebt sind. Grade ent-
gegengesetzt ist die Anbringung des Schmuckes an den
Prunkschalen: die Außenseite ist glatt gelassen und die
Verzierung in das Innere verlegt und nun regelmäßig
als Hochreliefbild gestaltet, das in den meisten Fällen
fast wie in voller Rundplastik aus einer auf den Jnnen-
boden der Schale aufgelegten Scheibe Herausgetrieben ist.
Dadurch ist deutlich bezeichnet, daß diese Schalen nicht
zum Trinken,
sondern als De-
korationsstücke
dienen sollten.
Ihr Bildschmuck
— im Altertum
emdleins. ge-
nannt — hat
vielfach den Wert
eines selbständi-
gen Kunstwerkes.
Der Hildes- :
heimer Fund ent-
hält von solchen
Kunstschalen
nicht weniger als
vier, darunter
die berühmte
Athenaschaleund
Mg. 15.
Becher ans dem Hildesheimer Silberschaiz.
Fig. 16. Silbrrbrcher von Vrrnay.
Der Silberschatz von Boscoreale.
ausgießt, diese widerliche Handlung mit dem Ausruf
„Verehre pflichtschuldigst den Kehricht" begleitend. Wie
aber um das Grauenhafte dieser ganzen Schilderungen
durch den schärfsten Kontrast noch zu verstärken, ist um
den Lippenrand der Becher eine Rosenguirlande ge-
wunden, die Blütenpracht und Blumenduft über die
Totendarstellung ausbreitet.
Wir haben uns im vorstehenden wesentlich mit dem
Schmuckwerk der Becher beschäftigt und wollen, bevor
wir uns den noch übrigen Stücken
des Schatzes zuwenden, noch einen
Blick auf ihre Formen werfen.
Ornamentik und Form finden wir
hier im ganzen unabhängig von-
einander und an Stelle des tek-
tonischen Prinzips, das früher für
die Dekoration geherrscht hatte, viel-
fach weitgehende Freiheit. Selbst
auf die Henkel ist in der Anlage der
Verzierung nicht immer Rücksicht ge-
nommen, und ein Motiv des Zu-
sammenstimmens von Henkelform
und Gefäßdekoration, wie wir es
z. B. bei dem schönen Hildesheimer
Becher (Fig. 9) bewundern, finden wir in dem Schatze
von Boscoreale nicht. Die Formen sind durchweg ver-
hältnismäßig einfach und im Vergleich namentlich zu den
Hildesheimer Gefäßen wenig abwechslungsreich. Unsere
Abbildungen geben von den Hauptformen eine anschau-
liche Vorstellung. Die Gestalt der Skelettbecher erinnert
etwa an unsere modernen Würfelbecher; am oberen Rand
sitzt ein ringförmiger Henkel, bequem zum Heben des Ge-
fäßes. Ist an diesen Exemplaren die Wandung fast grade,
so finden wir sie an einem anderen mit einem feinen
Schuppen- oder Federmuster verzierten Paar nach der
Mündung zu weit ausgeschweift. Die kelchförmigen Becher
mit den Bildern der Störche und Kraniche (Fig. 1 und 2),
eine Form, die sehr beliebt war, wie sie denn in den
Kentaurenbechern von Pompeji (Fig. 13 und 14) und sonst
gleichartig wiederkehrt, erfreuen durch ihre graziöse Gestalt.
Aber an Zierlichkeit stehen sie doch zurück hinter dem
wundervollen, noch viel leichter und zarter behandelten
Guirlandenbecher aus Hildesheim (Fig. 15), der eine Art
Uebergang von der Kelchform zu den napfartigen Gefäßen
der Art bildet,
wie wir sie in
der vollendete-
sten Ausgestal-
tung in den Ken-
taurenbechern
des Schatzes von
Bernay(Fig. 16)
finden. Fast die
gleiche Bildung
wie diese haben
die Olivenbecher
von Boscoreale,
während die
kleineren Becher
mit den Still-
leben undKüchen-
stücken (Fig. 3
und 4) dieselbe
Form gedrückter und weniger frei entwickelt zeigen. Sämt-
liche Becher stimmen technisch darin überein, daß die Füße
und Henkel angelötet und daß die eigentlichen Gefäß-
körper aus zwei Teilen gebildet sind, einem äußeren
Mantel, von sehr dünner Wandung, aus dessen Fläche
der Bildschmuck Herausgetrieben ist, und einem stärkeren
glatten Einsatz, der die Flüssigkeit aufnimmt. Gern hat
man auf der Außenseite, um die Schmuckteile zu heben,
Vergoldung angebracht, die hier durchweg auf heißem
Wege, durch Ausschmelzen, ausge-
führt ist. Aber im ganzen ist an
den Gefäßen aus Boscoreale spar-
samer davon Gebrauch gemacht, viel
sparsamer als an dem Geschirr des
Hildesheimer Schatzes, der sich auch
hierin als der reichere und kostbarere
erweist: Zu Stücken, wie dem Hildes-
heimer Guirlandenbecher (Fig. 15),
an denen der ganze Grund des äuße-
ren Mantels vergoldet ist, findet sich
in dem neuen Funde nichts Ent-
sprechendes.
Zu diesen verschiedenen Formen
der Trinkgefäße treten als beson-
dere Gruppe noch die Schalen hinzu. Die Schale ist in
der römischen Zeit als eigentliches Trinkgeschirr nicht
mehr so beliebt und viel gebraucht gewesen, wie bei den
Griechen des fünften und vierten Jahrhunderts, sie hat
aber als Prunkgeschirr, als Ausstattungsstück für Zimmer
und Tafel eine neue Verwendung gefunden. Wirkliche
Trinkschalen sind unter dem erhaltenen Silbergeschirr ganz
selten. Der Hildesheimer Schatz enthält ein Paar von
solchen, deren eine Fig. 11 abgebildet ist. Sie hat innen
— dem praktischen Gebrauch angemessen — einen glatten
Einsatz, auf dem äußeren Mantel dagegen eine sehr reiche
Verzierung von Blättern und stilisierten Ranken, die mit
Vögeln und Schmetterlingen belebt sind. Grade ent-
gegengesetzt ist die Anbringung des Schmuckes an den
Prunkschalen: die Außenseite ist glatt gelassen und die
Verzierung in das Innere verlegt und nun regelmäßig
als Hochreliefbild gestaltet, das in den meisten Fällen
fast wie in voller Rundplastik aus einer auf den Jnnen-
boden der Schale aufgelegten Scheibe Herausgetrieben ist.
Dadurch ist deutlich bezeichnet, daß diese Schalen nicht
zum Trinken,
sondern als De-
korationsstücke
dienen sollten.
Ihr Bildschmuck
— im Altertum
emdleins. ge-
nannt — hat
vielfach den Wert
eines selbständi-
gen Kunstwerkes.
Der Hildes- :
heimer Fund ent-
hält von solchen
Kunstschalen
nicht weniger als
vier, darunter
die berühmte
Athenaschaleund
Mg. 15.
Becher ans dem Hildesheimer Silberschaiz.
Fig. 16. Silbrrbrcher von Vrrnay.