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Goethes Königslieutenant und Frankfurter Bilder aus der Provence.
Während eines Winteraufenthaltes mit den Seinen
zu Cannes an der sonnigen Riviera die Ponente, nahm
er an trüben Regentagen Goethes „Dichtung und Wahr-
heit" zur Hand. Im dritten Buche dieser köstlichsten
aller Darstellungen der Jugendzeit eines großen Menschen
und Dichters, traf er auf die Stelle, an der Goethe
erzählt, wie die Franzosen während des siebenjährigen
Krieges im Januar 17S9 in Frankfurt einzogen und
wie auch sein elterliches Haus mit Einquartierung belegt
wurde. Man hatte das eben erst neu ausgebaute und
schmuck eingerichtete Gebäude erwählt, um dem Königs-
lieutenant, dem vornehmsten der fremden militärischen
Gäste, Unterkunft zu gewähren. „Es war Graf Thorane,
von Graste in der Provence, unweit Antibes gebürtig."
Was Wunder,
daß dieser Satz den
Leser mit frohen Er-
wartungen erfüllte;
befand er sich doch
zu Cannes ganz
nahe bei jenem
Graste, das er jetzt
als Heimat des
Königslieutenants
nennen hörte, wurde
er doch beim Weiter-
lesen erinnert, daß
Graf Thoranc nicht
nur die Gemälde
der Frankfurter und
Darmstädter Künst-
ler, die er imGoethe-
schen Hause fand,
mit Wohlgefallen be-
trachtet, sondern ihre Schöpfer mit Bestellungen betraut
hatte, die zum Teil im hübschen Hellen Giebelzimmer
des jungen Wolfgang hergestellt worden waren. Was
die Maler dort schufen, hatte das Schloß des Bruders
Thorancs in Graste schmücken sollen. Von dorther waren
die Maße gekommen, nach denen sich die Künstler bei
der Wahl des Formates ihrer Gemälde zu richten hatten,
weil sie nicht in Rahmen eingefaßt, sondern als Tapeten-
teile auf die Wand befestigt werden sollten. Daß
diese Kunstwerke an den Ort ihrer Bestimmung gelangt
waren, und der Königslieutenant sich im brüderlichen
Schlosse ihrer gefreut hatte, bestätigten seine nach Frank-
furt gelangten Briefe, in denen er auch einige Nach-
bestellungen machte.
Welche Winke für den deutschen Kunstfreund und
Kenner!
Hatte hier kein besonderer Unstern gewaltet, mußte
sich ganz in seiner Nähe, mitten in der Provence, eine
stattliche Reihe von Proben heimischen Kunstfleißes wieder-
finden lassen. Ein greifbarer Kommentar für eine der
interessantesten Stellen aus „Dichtung und Wahrheit"
stand hier vielleicht der Forschung zur Verfügung, und
dazu erschien es nicht weniger als unwahrscheinlich, daß
sich in den Papieren des Thorancschen Hauses mancherlei
erhalten hatte, was nähere Auskunft über die Person
des Königslieutenants und vielleicht auch über seinen Auf-
enthalt im Goetheschen Hause zu erteilen verhieß. Dort
war über das weitere Schicksal Thorancs nur noch be-
kannt geworden, er sei — und auch dies meldete nur
ein Gerücht — in Westindien auf einer der französischen
Kolonien als Gouverneur gestorben.
Das waren Klänge, denen es sich wahrlich zu folgen
verlohnte, und sie führten denn auch Martin Schubart
in die kleine Vaterstadt des Königslieutenants. Und
welche Augenblicke standen dem Entdecker bevor, als er
in dem freundlichen Orte, der bisher durch nichts be-
kannt gewesen war als durch die feinen Parfüms, die
man dort aus der Ueberfülle der Veilchen und anderen
duftenden Blumen bereitet, in der That die Werke der
heimischen Kunst erblickte, die er dort zu finden gehofft.
Aufmerksam folgt man dem klugen und vorsichtigen
Vorgehen des Verfassers, das ihn übrigens nicht in ein
Schloß außerhalb des Ortes, sondern in zwei stattliche
Häuser in Graste selbst führte. Mit ihm treten wir,
begierig auf das Kommende, von der Gartenterrasse aus
in den „höchst behaglichen Salon", in dem er den ersten
Lohn für seine Bemühungen erntete. Denn wahrhaftig!
Da gab es — wie es in „Dichtung und Wahrheit"
heißt: „ansehnliche Oelbilder, nicht in Rahmen ein-
gefaßt, sondern als Tapetenteile an den Wänden be-
festigt" und im nächsten und übernächsten Zimmer gleich-
falls. Und diese Bilder galten hier auch immer noch
für Werke eines deutschen Künstlers. Es mußten die-
jenigen sein, die im Mansardenzimmer des jungen Goethe
für den Königslieutenant gemalt worden waren.
„Wo anders", ruft der Verfasser aus, „konnte ich
mich hier befinden, als in jenem schönen Hause, das der
ältere Bruder des Grafen Thoranc dereinst besessen
hatte; als in den Zimmern und Kabinetten, deren Maße
sich der Königslieutenant seiner Zeit nach Frankfurt hatte
kommen lassen?"
In einem zweiten Hause fand der Verfasser die
Thürstücke von Seekatz, deren Goethe gedenkt, Traut-
manns Brand von Troja und anderes in Frankfurt
Gemaltes.
Bald sollte sich auch erklären, wie diese Gemälde
in zwei Häuser gekommen und wie sie in beiden so
angebracht worden waren, wie es der Besteller schon
bei ihrer Herstellung bestimmte. Das zweite mit den
„Elementen", deren in „Dichtung und Wahrheit" gedacht
wird, hatte der Königslieutenant selbst erbaut und bewohnt
— das andere, das Schubart zuerst betrat, war Eigen-
tum des älteren Bruders Thorancs gewesen. Der jetzige
Besitzer des ersteren, Herr Roubaud, der Bürgermeister
der Stadt, konnte dem deutschen Kunstkenner manche er-
wünschte Auskunft über den Königslieutenant erteilen,
und es will uns erfreulich dünken, daß er sehr gut
Bescheid um „Dichtung und Wahrheit" und um die dort
von Goethe beschriebenen und erwähnten Bilder wußte.
Natürlich gab Schubart sich mit diesen Erfolgen
nicht zufrieden. Auch die vornehmen Verwandten Thorancs,
die noch in seiner Heimat begütert sind, kamen ihm in
verbindlicher Weise entgegen, und bei dem Großneffen
des Königslieutenant, Graf Sartoux, fand er das Bild-
nis seines Großonkels und die Gemälde, die, wie Goethe
selbst berichtet, ausgeführt worden waren, nachdem er
einen „umständlichen Aufsatz" verfertigt hatte, in dem
er zwölf Bilder beschrieb, welche die Geschichte Josefs
darzustellen hatten.
Der Knabe auf dem einen Gemälde stellte nach der
Sartouxschen Familientradition den jungen Goethe selbst
dar, und später fand Schubart, daß sie der Beachtung
Bildnis des Grafen Thorane.
Von Job. Christ. Fiedler.
Goethes Königslieutenant und Frankfurter Bilder aus der Provence.
Während eines Winteraufenthaltes mit den Seinen
zu Cannes an der sonnigen Riviera die Ponente, nahm
er an trüben Regentagen Goethes „Dichtung und Wahr-
heit" zur Hand. Im dritten Buche dieser köstlichsten
aller Darstellungen der Jugendzeit eines großen Menschen
und Dichters, traf er auf die Stelle, an der Goethe
erzählt, wie die Franzosen während des siebenjährigen
Krieges im Januar 17S9 in Frankfurt einzogen und
wie auch sein elterliches Haus mit Einquartierung belegt
wurde. Man hatte das eben erst neu ausgebaute und
schmuck eingerichtete Gebäude erwählt, um dem Königs-
lieutenant, dem vornehmsten der fremden militärischen
Gäste, Unterkunft zu gewähren. „Es war Graf Thorane,
von Graste in der Provence, unweit Antibes gebürtig."
Was Wunder,
daß dieser Satz den
Leser mit frohen Er-
wartungen erfüllte;
befand er sich doch
zu Cannes ganz
nahe bei jenem
Graste, das er jetzt
als Heimat des
Königslieutenants
nennen hörte, wurde
er doch beim Weiter-
lesen erinnert, daß
Graf Thoranc nicht
nur die Gemälde
der Frankfurter und
Darmstädter Künst-
ler, die er imGoethe-
schen Hause fand,
mit Wohlgefallen be-
trachtet, sondern ihre Schöpfer mit Bestellungen betraut
hatte, die zum Teil im hübschen Hellen Giebelzimmer
des jungen Wolfgang hergestellt worden waren. Was
die Maler dort schufen, hatte das Schloß des Bruders
Thorancs in Graste schmücken sollen. Von dorther waren
die Maße gekommen, nach denen sich die Künstler bei
der Wahl des Formates ihrer Gemälde zu richten hatten,
weil sie nicht in Rahmen eingefaßt, sondern als Tapeten-
teile auf die Wand befestigt werden sollten. Daß
diese Kunstwerke an den Ort ihrer Bestimmung gelangt
waren, und der Königslieutenant sich im brüderlichen
Schlosse ihrer gefreut hatte, bestätigten seine nach Frank-
furt gelangten Briefe, in denen er auch einige Nach-
bestellungen machte.
Welche Winke für den deutschen Kunstfreund und
Kenner!
Hatte hier kein besonderer Unstern gewaltet, mußte
sich ganz in seiner Nähe, mitten in der Provence, eine
stattliche Reihe von Proben heimischen Kunstfleißes wieder-
finden lassen. Ein greifbarer Kommentar für eine der
interessantesten Stellen aus „Dichtung und Wahrheit"
stand hier vielleicht der Forschung zur Verfügung, und
dazu erschien es nicht weniger als unwahrscheinlich, daß
sich in den Papieren des Thorancschen Hauses mancherlei
erhalten hatte, was nähere Auskunft über die Person
des Königslieutenants und vielleicht auch über seinen Auf-
enthalt im Goetheschen Hause zu erteilen verhieß. Dort
war über das weitere Schicksal Thorancs nur noch be-
kannt geworden, er sei — und auch dies meldete nur
ein Gerücht — in Westindien auf einer der französischen
Kolonien als Gouverneur gestorben.
Das waren Klänge, denen es sich wahrlich zu folgen
verlohnte, und sie führten denn auch Martin Schubart
in die kleine Vaterstadt des Königslieutenants. Und
welche Augenblicke standen dem Entdecker bevor, als er
in dem freundlichen Orte, der bisher durch nichts be-
kannt gewesen war als durch die feinen Parfüms, die
man dort aus der Ueberfülle der Veilchen und anderen
duftenden Blumen bereitet, in der That die Werke der
heimischen Kunst erblickte, die er dort zu finden gehofft.
Aufmerksam folgt man dem klugen und vorsichtigen
Vorgehen des Verfassers, das ihn übrigens nicht in ein
Schloß außerhalb des Ortes, sondern in zwei stattliche
Häuser in Graste selbst führte. Mit ihm treten wir,
begierig auf das Kommende, von der Gartenterrasse aus
in den „höchst behaglichen Salon", in dem er den ersten
Lohn für seine Bemühungen erntete. Denn wahrhaftig!
Da gab es — wie es in „Dichtung und Wahrheit"
heißt: „ansehnliche Oelbilder, nicht in Rahmen ein-
gefaßt, sondern als Tapetenteile an den Wänden be-
festigt" und im nächsten und übernächsten Zimmer gleich-
falls. Und diese Bilder galten hier auch immer noch
für Werke eines deutschen Künstlers. Es mußten die-
jenigen sein, die im Mansardenzimmer des jungen Goethe
für den Königslieutenant gemalt worden waren.
„Wo anders", ruft der Verfasser aus, „konnte ich
mich hier befinden, als in jenem schönen Hause, das der
ältere Bruder des Grafen Thoranc dereinst besessen
hatte; als in den Zimmern und Kabinetten, deren Maße
sich der Königslieutenant seiner Zeit nach Frankfurt hatte
kommen lassen?"
In einem zweiten Hause fand der Verfasser die
Thürstücke von Seekatz, deren Goethe gedenkt, Traut-
manns Brand von Troja und anderes in Frankfurt
Gemaltes.
Bald sollte sich auch erklären, wie diese Gemälde
in zwei Häuser gekommen und wie sie in beiden so
angebracht worden waren, wie es der Besteller schon
bei ihrer Herstellung bestimmte. Das zweite mit den
„Elementen", deren in „Dichtung und Wahrheit" gedacht
wird, hatte der Königslieutenant selbst erbaut und bewohnt
— das andere, das Schubart zuerst betrat, war Eigen-
tum des älteren Bruders Thorancs gewesen. Der jetzige
Besitzer des ersteren, Herr Roubaud, der Bürgermeister
der Stadt, konnte dem deutschen Kunstkenner manche er-
wünschte Auskunft über den Königslieutenant erteilen,
und es will uns erfreulich dünken, daß er sehr gut
Bescheid um „Dichtung und Wahrheit" und um die dort
von Goethe beschriebenen und erwähnten Bilder wußte.
Natürlich gab Schubart sich mit diesen Erfolgen
nicht zufrieden. Auch die vornehmen Verwandten Thorancs,
die noch in seiner Heimat begütert sind, kamen ihm in
verbindlicher Weise entgegen, und bei dem Großneffen
des Königslieutenant, Graf Sartoux, fand er das Bild-
nis seines Großonkels und die Gemälde, die, wie Goethe
selbst berichtet, ausgeführt worden waren, nachdem er
einen „umständlichen Aufsatz" verfertigt hatte, in dem
er zwölf Bilder beschrieb, welche die Geschichte Josefs
darzustellen hatten.
Der Knabe auf dem einen Gemälde stellte nach der
Sartouxschen Familientradition den jungen Goethe selbst
dar, und später fand Schubart, daß sie der Beachtung
Bildnis des Grafen Thorane.
Von Job. Christ. Fiedler.