25§
Moderne Bucheinbände.
neue Technik, die die Prägung zu ersetzen vermochte,
noch einen Ersatz für das alte Ornament gefunden.
Marius Michel, der Führer der Modernen, ein Binder
von unzweifelhaften Verdiensten, stellte den unglücklichen
Satz auf, daß der Einband in erster Linie eine möglichst
intense, stoffliche Beziehung zu dem Buch haben müsse,
das er umgiebt; dadurch wurde den ärgsten Dilettantis-
mus Thür und Thor geöffnet. Der französische Einband
wurde eine Ergänzung der französischen Bilderillustration,
die aus dem Buch eine Sammlung von Gravüren, aber
kein gewerbliches Ensemble macht. Wenn schon eine
litterarische Kunst bedenkliche Schwächen enthält, ein
litterarisches Gewerbe ist monströs von Grund aus.
So wirkte in Frankreich die moderne dekorative Be-
wegung nur zunächst degenerierend; sie löste die alte
weltberühmte Tradition der französischen Binder, die sich
allerdings überlebt hatte, auf, ohne etwas Neues zu
geben, sie zerstörte an einer verkehrten Stelle und unter-
grub dadurch die Basis für einen gedeihlichen Fortschritt.
Unter den vielen neuen resp. erneuten Methoden, die
zum Teil in reine Spielereien ausarten, ist namentlich
die Mosaikierung bevorzugt, die solange sie wirklich
Mosaik macht, d. h. verschiedenfarbige Ledersorten neben-
einander aufträgt, nicht, wie dies leider oft geschieht,
mit Handmalerei dazwischen Pfuscht, gewerblich berechtigt
erscheint. Nur muß die Zeichnung darnach sein. Leute
mit modernem Ornament giebt es in Frankreich aber bis
jetzt überhaupt nicht. Die besten wie z. B. Martin in
Nancy äußern wenigstens dekorative Worte. Die Land-
schaften, die Martin (s. S. 259) in starken Linien in seine
Leder schneidet, entbehren nicht starker stilistischer Momente,
aber es bleiben eben Landschaften, Bilder, die man
geradesogut einrahmen könnte. Der begabte Nancyer
Bildhauer Prouve leistet sich Skulpturen in Leder, die
er zu Einbänden verwertet, und Rene Wiener, der
dritte in dem Kleeblatt von Nancy, kom-
biniert Malerei und Skulptur. In der
Reproduktion (s. S. 262) sieht der
Kastendeckel, den er nach einer Zeichnung
von Guingot für ein Herbarium machte,
die L la Japan in die Fläche hinein-
ragenden Gräser und die Leisten, ganz
dekorativ aus. In Wirklichkeit zerstört
der naturalistische Krebs in der Ecke, der
unbegreiflich geschmackloser Weise in Hoch-
relief gehalten ist, den ganzen Eindruck. —
Die Nancyer sind aber noch die Elite unter
den Neudekorativen Frankreichs. In Paris
werden auch heute noch — von Mercier
namentlich, auch von den im Prinzip mo-
dernen Marius Michel, Gruel u. v. a. —
wundervolle Prägungen im Sinne der
Alten gemacht; sobald aber einer versucht,
diese Bahnen zu verlassen, gerät er so-
fort auf die ärgsten Abwege. Raparlier,
Meunier sind die typischsten Erscheinungen
dieser Verirrung. Der junge Belville (s.
S. 256) ist wenigstens imstande, ein Orna-
ment zu zeichnen, das, wenn cs technisch
übertragen würde, sich vielleicht sehen
lassen könnte. Bisher hat er aber nur,
soviel ich weiß, seine Zeichnungen auf
Leder gemalt, und über solche Methoden
als Fertigprodukt ist nicht zu diskutieren.
Frankreich hat in der Malerei die
Führung, und diese Hegemonie hat ihm
für fast ein ganzes Jahrhundert die
Führung der künstlerischen Kultur Europas
verschafft. Jetzt ändert die Kultur ihre
Tendenz. Die Malerei verliert die enorme
Bedeutung, die sie auf Kosten aller anderen
Gebiete, namentlich der, die dem Milieu
des Menschen unmittelbar dienen, behauptet
hat; eine neue Kunst wächst blitzschnell überall hervor, eine
modernere, weil nützlichere, praktische; sie will nicht ab-
strakten Luxusbegriffen dienen, sondern trägt der großen
sozialen Strömung Rechnung, die die Genüsse einzelner auf
Kosten der Gesamtheit auszuscheiden sucht. Diese neue ge-
werbliche Kunst wird nie ihre Heimat in Frankreich finden,
dem trotz aller Revolutionen aristokratischsten aller Länder.
Jüngere Völker ohne glänzende Vergangenheit aber mit
sicherer Zukunft werden in dem Kampf um das Haus,
das in Frankreich immer eine Beute glänzender, ver-
gangener Stiltraditionen bleiben wird, die Führenden
sein. Dieser häuslichen Kunst gegenüber bedeutet Frank-
reichs Malerei nicht mehr das primäre Element; sie
kann nur durch ihre Farbe beitragen. Was aber in
erster Instanz notthut, ist ein neuer ornamentaler Linien-
Moderne Bucheinbände.
neue Technik, die die Prägung zu ersetzen vermochte,
noch einen Ersatz für das alte Ornament gefunden.
Marius Michel, der Führer der Modernen, ein Binder
von unzweifelhaften Verdiensten, stellte den unglücklichen
Satz auf, daß der Einband in erster Linie eine möglichst
intense, stoffliche Beziehung zu dem Buch haben müsse,
das er umgiebt; dadurch wurde den ärgsten Dilettantis-
mus Thür und Thor geöffnet. Der französische Einband
wurde eine Ergänzung der französischen Bilderillustration,
die aus dem Buch eine Sammlung von Gravüren, aber
kein gewerbliches Ensemble macht. Wenn schon eine
litterarische Kunst bedenkliche Schwächen enthält, ein
litterarisches Gewerbe ist monströs von Grund aus.
So wirkte in Frankreich die moderne dekorative Be-
wegung nur zunächst degenerierend; sie löste die alte
weltberühmte Tradition der französischen Binder, die sich
allerdings überlebt hatte, auf, ohne etwas Neues zu
geben, sie zerstörte an einer verkehrten Stelle und unter-
grub dadurch die Basis für einen gedeihlichen Fortschritt.
Unter den vielen neuen resp. erneuten Methoden, die
zum Teil in reine Spielereien ausarten, ist namentlich
die Mosaikierung bevorzugt, die solange sie wirklich
Mosaik macht, d. h. verschiedenfarbige Ledersorten neben-
einander aufträgt, nicht, wie dies leider oft geschieht,
mit Handmalerei dazwischen Pfuscht, gewerblich berechtigt
erscheint. Nur muß die Zeichnung darnach sein. Leute
mit modernem Ornament giebt es in Frankreich aber bis
jetzt überhaupt nicht. Die besten wie z. B. Martin in
Nancy äußern wenigstens dekorative Worte. Die Land-
schaften, die Martin (s. S. 259) in starken Linien in seine
Leder schneidet, entbehren nicht starker stilistischer Momente,
aber es bleiben eben Landschaften, Bilder, die man
geradesogut einrahmen könnte. Der begabte Nancyer
Bildhauer Prouve leistet sich Skulpturen in Leder, die
er zu Einbänden verwertet, und Rene Wiener, der
dritte in dem Kleeblatt von Nancy, kom-
biniert Malerei und Skulptur. In der
Reproduktion (s. S. 262) sieht der
Kastendeckel, den er nach einer Zeichnung
von Guingot für ein Herbarium machte,
die L la Japan in die Fläche hinein-
ragenden Gräser und die Leisten, ganz
dekorativ aus. In Wirklichkeit zerstört
der naturalistische Krebs in der Ecke, der
unbegreiflich geschmackloser Weise in Hoch-
relief gehalten ist, den ganzen Eindruck. —
Die Nancyer sind aber noch die Elite unter
den Neudekorativen Frankreichs. In Paris
werden auch heute noch — von Mercier
namentlich, auch von den im Prinzip mo-
dernen Marius Michel, Gruel u. v. a. —
wundervolle Prägungen im Sinne der
Alten gemacht; sobald aber einer versucht,
diese Bahnen zu verlassen, gerät er so-
fort auf die ärgsten Abwege. Raparlier,
Meunier sind die typischsten Erscheinungen
dieser Verirrung. Der junge Belville (s.
S. 256) ist wenigstens imstande, ein Orna-
ment zu zeichnen, das, wenn cs technisch
übertragen würde, sich vielleicht sehen
lassen könnte. Bisher hat er aber nur,
soviel ich weiß, seine Zeichnungen auf
Leder gemalt, und über solche Methoden
als Fertigprodukt ist nicht zu diskutieren.
Frankreich hat in der Malerei die
Führung, und diese Hegemonie hat ihm
für fast ein ganzes Jahrhundert die
Führung der künstlerischen Kultur Europas
verschafft. Jetzt ändert die Kultur ihre
Tendenz. Die Malerei verliert die enorme
Bedeutung, die sie auf Kosten aller anderen
Gebiete, namentlich der, die dem Milieu
des Menschen unmittelbar dienen, behauptet
hat; eine neue Kunst wächst blitzschnell überall hervor, eine
modernere, weil nützlichere, praktische; sie will nicht ab-
strakten Luxusbegriffen dienen, sondern trägt der großen
sozialen Strömung Rechnung, die die Genüsse einzelner auf
Kosten der Gesamtheit auszuscheiden sucht. Diese neue ge-
werbliche Kunst wird nie ihre Heimat in Frankreich finden,
dem trotz aller Revolutionen aristokratischsten aller Länder.
Jüngere Völker ohne glänzende Vergangenheit aber mit
sicherer Zukunft werden in dem Kampf um das Haus,
das in Frankreich immer eine Beute glänzender, ver-
gangener Stiltraditionen bleiben wird, die Führenden
sein. Dieser häuslichen Kunst gegenüber bedeutet Frank-
reichs Malerei nicht mehr das primäre Element; sie
kann nur durch ihre Farbe beitragen. Was aber in
erster Instanz notthut, ist ein neuer ornamentaler Linien-