Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897
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Meier-Graefe, Julius: Moderne Bucheinbände
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Moderne Bucheinbände.
begriff, und die großen Realisten Frankreichs haben mit
zu großem Erfolg gegen alle Stilistik in der Kunst ge-
kämpft, als daß man jetzt mit Ueberzeugung eine Be-
wegung mitmachen könnte, die nach neuen Stilformen
strebt.
Die Länder mit Buchgewerbe, denen wirklich neue
Ornamente gelungen sind, haben im Gegensatz zu Frank-
reich mit größter Energie an der Prägung des Leders
festgehalten. In England war T. I. Cobden-Sanderson,
der Freund und Jünger W. Morris, der Neuerer
in der Reliure, der die Prägung für seine reizenden
Blättermotive anwandte und mit seiner Gattin zusammen
Arbeiten größter Delikatesse, feinsten Geschmacks und
größter Gediegenheit herausgab. Von Morris lernte er
die ausgezeichnete Verteilung der Schrift auf dem Ein-
band, in der er mir allen anderen Bindern voraus zu
sein scheint. Ein Muster dafür ist der Einband für
Blakes „Illustrations c>t tke Look ok Wie auf
jeden Titel eine Schrift gehört, muß auch der Deckel
des Buches die Schrift tragen. Das Problem beruht
darin, diese Schrift zum Träger dekorativer Wirkung zu
machen. Das ist Cobden-Sanderson nirgends so wie
bei dem erwähnten Einband gelungen. In der Mitte
des weißen Pergaments, da, wo die Franzosen etwa ein
Bildchen hinsetzen würden, steht ein voller Schriftblock;
darum ein Ornament von jenen verzierten Blättern, die
leicht von Japan beeinflußt, viel moderner als alle
Morrissche Büchergotik erscheinen, und als äußerste
Randleiste wieder ein Schriftband von Sprüchen, alles
in Goldprägung. Es ist unmöglich, natürlicher und
graziöser zu sein, den Zweck der Sache schärfer im Auge
zu behalten und dabei mehr Geschmack in das Nützliche
zu tragen. In einem ähnlichen Einband für Chaucer (Kelms-
cott Preß, s. S. 254) ist nur das äußerste Schriftband bei-
behalten und statt der Schrift in der Mitte ein punk-
tiertes Oval eingesetzt. Das technische Prinzip bei diesen
Prägungen beruht in der Tendenz, möglichst wenig Eisen
anzuwenden, nicht nur weil mit der Zunahme des Eisen
die Kosten wachsen, sondern weil die dekorative Einheit-
lichkeit dadurch gewinnt. Welche Pracht trotzdem mit
solchen Mitteln entfaltet werden kann, lehrt der auf
S. 260 abgebildete Einband.
Cobden-Sandersons gewerbliche Stärke beruht darin,
daß er die Pedeutung der reinen Binderarbeit erkannt
bat und über dem Schmuck des Buches nicht wie die
Franzosen die Hauptsache, das Buch selbst, vergißt. Das
beste „llinmbinA" kann nicht für ein schlechtes „bornar-
äinZ" entschädigen. Es ist nicht nur eine Freude, Cob-
den-Sandersons Bücher zu sehen, man kann sie auch
lesen, sie liegen gut in der Hand, öffnen sich leicht, der
Deckel schmückt sie nicht nur, er schützt sie auch.
Neben Cobden-Sanderson können sich in England
nur wenige Binder sehen lassen. Am tüchtigsten scheint
mir nach ihm Roger de Coverly in London, der sehr
saubere Prägungen nach ebenfalls modernen Mustern —
auch manche im älteren namentlich Grolier-Genre —
meist auf Maroquin ausführt. — Technisch sehr inter-
essant sind die Einbände von Miß Maccoll, zu denen
D. S. Maccoll leider recht geschmacklose Zeichnungen liefert.
Fast bedeutungsvoller als diese vornehmen Produkte
eines künstlerischen Gewerbes, die natürlich selbst in dem
Moderne Bucheinbände.
begriff, und die großen Realisten Frankreichs haben mit
zu großem Erfolg gegen alle Stilistik in der Kunst ge-
kämpft, als daß man jetzt mit Ueberzeugung eine Be-
wegung mitmachen könnte, die nach neuen Stilformen
strebt.
Die Länder mit Buchgewerbe, denen wirklich neue
Ornamente gelungen sind, haben im Gegensatz zu Frank-
reich mit größter Energie an der Prägung des Leders
festgehalten. In England war T. I. Cobden-Sanderson,
der Freund und Jünger W. Morris, der Neuerer
in der Reliure, der die Prägung für seine reizenden
Blättermotive anwandte und mit seiner Gattin zusammen
Arbeiten größter Delikatesse, feinsten Geschmacks und
größter Gediegenheit herausgab. Von Morris lernte er
die ausgezeichnete Verteilung der Schrift auf dem Ein-
band, in der er mir allen anderen Bindern voraus zu
sein scheint. Ein Muster dafür ist der Einband für
Blakes „Illustrations c>t tke Look ok Wie auf
jeden Titel eine Schrift gehört, muß auch der Deckel
des Buches die Schrift tragen. Das Problem beruht
darin, diese Schrift zum Träger dekorativer Wirkung zu
machen. Das ist Cobden-Sanderson nirgends so wie
bei dem erwähnten Einband gelungen. In der Mitte
des weißen Pergaments, da, wo die Franzosen etwa ein
Bildchen hinsetzen würden, steht ein voller Schriftblock;
darum ein Ornament von jenen verzierten Blättern, die
leicht von Japan beeinflußt, viel moderner als alle
Morrissche Büchergotik erscheinen, und als äußerste
Randleiste wieder ein Schriftband von Sprüchen, alles
in Goldprägung. Es ist unmöglich, natürlicher und
graziöser zu sein, den Zweck der Sache schärfer im Auge
zu behalten und dabei mehr Geschmack in das Nützliche
zu tragen. In einem ähnlichen Einband für Chaucer (Kelms-
cott Preß, s. S. 254) ist nur das äußerste Schriftband bei-
behalten und statt der Schrift in der Mitte ein punk-
tiertes Oval eingesetzt. Das technische Prinzip bei diesen
Prägungen beruht in der Tendenz, möglichst wenig Eisen
anzuwenden, nicht nur weil mit der Zunahme des Eisen
die Kosten wachsen, sondern weil die dekorative Einheit-
lichkeit dadurch gewinnt. Welche Pracht trotzdem mit
solchen Mitteln entfaltet werden kann, lehrt der auf
S. 260 abgebildete Einband.
Cobden-Sandersons gewerbliche Stärke beruht darin,
daß er die Pedeutung der reinen Binderarbeit erkannt
bat und über dem Schmuck des Buches nicht wie die
Franzosen die Hauptsache, das Buch selbst, vergißt. Das
beste „llinmbinA" kann nicht für ein schlechtes „bornar-
äinZ" entschädigen. Es ist nicht nur eine Freude, Cob-
den-Sandersons Bücher zu sehen, man kann sie auch
lesen, sie liegen gut in der Hand, öffnen sich leicht, der
Deckel schmückt sie nicht nur, er schützt sie auch.
Neben Cobden-Sanderson können sich in England
nur wenige Binder sehen lassen. Am tüchtigsten scheint
mir nach ihm Roger de Coverly in London, der sehr
saubere Prägungen nach ebenfalls modernen Mustern —
auch manche im älteren namentlich Grolier-Genre —
meist auf Maroquin ausführt. — Technisch sehr inter-
essant sind die Einbände von Miß Maccoll, zu denen
D. S. Maccoll leider recht geschmacklose Zeichnungen liefert.
Fast bedeutungsvoller als diese vornehmen Produkte
eines künstlerischen Gewerbes, die natürlich selbst in dem