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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Fritz Reuter als Zeichner: nach Karl Theodor Gaedertz: "Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0362

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288

Fritz Reuter als Zeichner.

außer den üblichen Versen und sonstigen, meist scherz-
haften Eintragungen zahlreiche Blätter mit Aktstudien
(Bleistiftzeichnungen) enthält: hier sehen wir das Haupt
eines Eremiten mit wallendem Bart, charakteristische
Männer- und Frauentypen, Lucifer in voller Figur, und
ihn selber, Reuter, gemütlich die lange Pfeife rauchend,
auf dem Bette sitzend, im Karzer.

Wie anders sah das Karzer aus, welches ihn wenige
Jahre später aufnahm: die dunkle, feuchte Zelle der
Hausvogtei in Berlin!

Dort mußte der Bur-
schenschafter hinter
Schloß und Riegel sitzen
und das Urteil ab-
warten, welches seiner
harrte wegen deutscher
Einheitsbestrebungen.

Sein alter, tiefbeküm-
merter Vater, nach
Berlin geeilt, um den
unglücklichen Sohn zu
sehen und zu sprechen,
reiste unverrichteter
Sache wieder ab. Der
hartherzige „Onkel
Tambach" gestattete
nicht eine Zusammen-
kunft, „dat de Söhn
an Vaders Bost sick ut-
weinen künn" ; ja er
gestattete nicht einmal
die Zusendung seines
Selbstporträts, damit
der Vater wenigstens
an dem Anblicke des
Bildes seines armen,
einzigen Sohnes sich
trösten könnte. Zu den
Akten wurde das Blatt
geheftet und, erst ge-
legentlich der Kassation
jener Untersuchungs-
Papiere ans Tageslicht
gefördert, durch das
Wohlwollen des preu-
ßischen Justizministers
vr. Friedberg, eines
Verehrers der Rcuter-
schen Muse, der Witwe eingehändigt — »ach einem
halben Jahrhundert!

Das mit Bleistift gezeichnete Brustbild (Abb. a. S. 287)
stellt nach einer protokollarischen Erklärung Reuters ihn selbst
dar und ist von ihm selbst gefertigt: ein jugendlich frisches,
sympathisches Gesicht, mit aufgestutzter Nase, bartlosen
Lippen, Hellen Augen, welche klar und freundlich durch
die Brillengläser schauen, und mit aus der Stirne gekämmtem,
langen links gescheiteltem Haupthaar. Vatermörder und
dunkle, bis oben an den Hals zugeknöpfte Weste, darüber
ein Rock mit breitem Kragen, vervollständigen den Anzug.
Auf ein starkes, rauhes Quartblatt ist das Porträt mit
kecken Strichen hingeworfen; es tritt Plastisch hervor
und ist unzweifelhaft sprechend ähnlich, wenn wir sein
erstes Konterfei als Schüler, sowie ein späteres aus der

Festung Magdeburg, das Gaedertz ebenfalls entdeckt hat
und darbietet, mit einander vergleichen.

Auf der Festung Graudenz beschäftigte sich der
„Demagoge" viel mit Goethes Faust. Von den dies-
bezüglichen Illustrationen ist wohl die gelungenste der
König in Thule. Auf der Festung Dänitz entstanden die
Porträts des Kommandanten Oberstlieutenant v. Bülow,
seiner Gemahlin, seines Sohnes und der Töchter. Zu
einer derselben, der, wie wir aus dem Pastellbild er-
sehen, auffallend hüb-
schen Frieda v. Bülow,
faßte der Staatsgefan-
gene eine heiße Leiden-
schaft ; nicht ohne Rüh-
rung wird man diese
Liebesgeschichte und
Liebeslyrik lesen.

In Freiheit gesetzt,
begann Reuters Land-
mannszeit, welche er in
„Utmine Stromtid" be-
schrieben hat. Durch
Gaedertz lernen wir
nun eine stattliche Reihe
uns lieb gewordener
Persönlichkeiten in elli-
Zie kennen und betrach-
ten dieselben mit er-
höhtem Interesse: den
Sohn seines Lehrherrn
Rust mit Jagdhund
Juno, Lining und
Mining, die „Druw-
äppel" u. s. w: Be-
achtenswert von künst-
lerischem Standpunkt
ist eine Sammlung
kleiner Federskizzen,
Studienköpfe aus der
Stromtid darstellend.
Auf Thalberg zeichnete
Reuter sämtliche Mit-
glieder der Familie
seines Freundes Fritz
Peters in Einzelpor-
träts. Auch an ein
Gruppenbild wagte er
sich: das junge Ehe-
paar Peters sitzt auf einer Gartenbank an einem runden
Tischchen, darauf Weinglas und Früchte; hinter ihm steht
Großmutter Ohl mit dem Baby (Abb. s. oben). Aus der
Uebereinstiinmuug der Gesichtszüge beider Frauen (Mutter
und Tochter) läßt sich die Aehnlichkeit konstatieren und
somit auch Reuters Sicherheit im Treffen der Köpfe. Zwei
Hündchen beleben das liebevoll ausgeführte Bild. Im
Hintergründe Laubengäuge und das gotische Gutshaus,
korrekt in der Architektur wiedergegeben, auch perspektivisch.

Eine andere Komposition, die Erfindungs- und Be-
obachtungsgabe bekundet, ist nicht ohne Humor: „Na, min
Jung, wo smeckt de Pip?" (Abb. a. S. 286). Ein alter
Dorfbewohner, Großvater, läßt seinen Enkel den ersten
Zug aus der Tabakspfeife thun. Neugierig schielt die be-
häbige Mutter auf den Knaben, gespannt, welch Gesicht

Die Familie Peters in Thalbrrg.
Nach einer Zeichnung von Fritz Reuter.
 
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