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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Heilbut, Emil: Die Londoner Saison
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0489

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Die Londoner Saison.

Z92

eine „Solitude" aus, welche nicht so einsam -ist, daß
nicht der Geist Corots hindurchginge. Mrs. Swynner-
ton begnügte sich nicht mit ihrem guten Kinderporträt,
sondern versuchte sich auch an der Darstellung eines jungen
Mädchens, welches ihr Glück im Sonnenschein spazieren
führt. Nun ist es heiß und sie hat rote Backen. Es
wird dem jungen Mädchen noch heißer und ihre Backen
färben sich blaurot. Diese Farbe hat Mrs. Swynnerton
ausgezeichnet getroffen. Unter dem Bilde steht ein schöner
Vers von Shakespeare, aber auch der Vers kanw das
Bild nicht retten. Es ist staunenswürdig gut in der
Wiedergabe der Schweißtropfen, in Bezug auf Wahrheit,
aber man denkt nur wenig daran, daß das junge Mäd-
chen wahr gemalt ist — vorausgesetzt, daß die Hitze
wirklich groß an jenem Tage war. Man denkt dagegen
viel mehr daran, daß sie ihr Taschentuch vergaß und nun
ihre Stirn nicht abtrocknen kann, was schade ist. Es ist
übrigens merkwürdig, daß eine Dame so packend und
gegenständlich das Häßliche malte. — Waterhouse malte
sein Modell im Korridor, Arthur Melville, der Schotte,
malte das Porträt eines Herrn Martin White, als ob
er einen Velazquez hätte liefern sollen und der Besteller
ihm nach den ersten Strichen gesagt hätte, lassen Sie's
gut sein; und Arthur Ellis malte „Sybil", »der tuce
uplilteci and sbe smileci, lier soul a sraile« steht da-
runter — es ist aber die Seele und das Lächeln einer
Fischfrau. Fernand Khnopff malte eine Mystifikation
und Walter Crane malte, anstatt zu zeichnen. Dies
bedaure ich; denn im Zeichnen ist er genial und malen
kann er nicht.

In der Grafton-Gallery, die so sehr besucht in
jenem Jahre war, als dort die an Schönheit unerreicht
gebliebene bair lVomon - Ausstellung stattfand — die
schönste Kunstausstellung, die seit der Manchester-Jubi-
läumsausstellung 1887 in England gewesen ist — findet
in diesem Sommer eine Musik- und Theater-Ausstellung
statt. Die Ausstellung ist zu gemischt. Ungefähr auf sechs

Bilder kommt
ein gutes.
Mit dem
siebzehnten
Jahrhundert
fängt die Aus-
stellung an.
Die größte
Zahl der Por-
träts stammt
aus dem 18.
Jahrhundert.
An Porträts
von Garrick

ist kein Mangel. Garrick als Richard III. kehrt mehr-
fach wieder. Mrs. Siddons ist gleichfalls sehr häufig
gemalt, wie auch Edmund Kean und I. P. Kemble. Der
Theatergeschichte folgt man sehr genau, für die Kunst-
geschichte ist dagegen die Ausstellung von geringerem
Werte. Ausnahmen sind natürlich vorhanden, wie wäre
das anders möglich, wenn Namen wie Reynolds,
Gainsborough und Romney sich begegnen. Wie
unter ihrem Zauberruf die alten Zeiten wieder aufstehen!
Wie uns die Züge der schönen Schauspielerinnen, erstarrt,
wenn von geringeren Künstlern wiedergegeben, unter ihrem
Meisterpinsel lebendig begegnen! Das Meisterwerk unter
diesen Meisterwerken rührt von Gainsborough her.
Es stellt Miß Linley dar mit ihrem Bruder, ein kleines
Porträt von größter Lieblichkeit. Miß Linley war die
erste Frau des Verfassers der scbool tor scaridgl, Richard
Brinsley Sheridan; sie war eine berühmte Sängerin.
Auf dem Porträt sehen wir wie hübsch sie war. Es ist
im allgemeinen lehrreich zu sehen, wie hübsch alle diese
berühmten Sänge-
rinnen und Schau-
spielerinnen gewesen
sind, und das giebt
ja auch die Erklärung,
daß so überaus viele
von ihnen im vorigen
Jahrhundert Herzog-
innen, Gräfinnen und
Ladies wurden. Von
kontinentalen Schau-
spielern sind fast nur
französische in der
Ausstellung vertreten.

Auch ist das nicht ver-
wunderlich , da der ^ c. m-dicu a-c.

Kultur zus ammenhang

zwischen England und Frankreich viel größer ist als
zwischen England und Deutschland. Aus dem 19. Jahr-
hundert ist das Porträt von Sir Henry Irving als
„Philip" von Whistler recht interessant, es gehört
aber nicht zu Whistlers besten Werken. Coquelin
ist in der Ausstellung überaus oft gemalt zu sehen (es
ist dennoch nur eine kleine Auslese aus jenen Porträts,
die er überhaupt von sich anfertigen ließ, er ließ sich
beinahe so häufig malen, wie Haase sich photographieren
ließ). Das beste der Coquelin-Porträts ist von Dagnan-
Bouveret. Sarah Bernhardt ist in der Ausstellung
nur zweimal; das ist relativ wenig. Ellen Terry ist
von Sarg ent als Lady Macbeth dargestellt, Miß Marion
Terry und Paderewski wurden von der Marchioneß of
Gramby gezeichnet, die schöne Lilian Langtry sieht man
von Millais und von Watts gemalt. Millais malte
sie wie sie ist, Watts, wie sie sein sollte. Mir ist das
Porträt von Watts lieber. Sie sieht wunderschön auf
dem Bildnis aus und doch ähnlich. Millais hat ihrer
Natur mehr einen Steckbrief ausgestellt. Sehr interessant
ist die Autographensammlung, die sich dieser Porträt-
sammlung anschließt. Mit großem Vergnügen sah ich
den Brief, in dem Mrs. Siddons dem Maler Reynolds
mitteilt, welchen Kupferstecher sie mit dem Stechen von
Reynolds' Bild, wo sie als tragische Muse dargestellt ist,
beauftragt zu sehen wünscht. Natürlich war dies ein
anderer Stecher als der, den Reynolds vorgezogen haben
 
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