Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

DOI Artikel:
Die Entwicklung der modernen Malerei
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0494

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Entwickelung der modernen Malerei.

Seidlitz schildert
dann weiter die Ent-
wickelung der mo-
dernen Kunst. Sie
beginnt mit Manet,
der durch Zufall die
Freilichtmalerei ent-
deckte und mit der
Ausstellung bei
Nadar in Paris
1871, an welcher
Manet, Monet,
Sisley, Pissarro
und Renoir beteiligt
waren und von welcher der Ausdruck Impressionismus
herstammt. Weiter kennzeichnet Seidlitz, welchen Anteil
die Degas, Israels, Liebermann, Klinger, Uhde und
Kuehl an der Bewegung hatten. Im Jahre 1890, nach
zwanzigjährigem Ringen und Kämpfen, war die junge
Kunst allerorten so weit gekräftigt, daß sie den Entschluß
fassen konnte, ihren Weg getrennt von den Vertretern
der landesüblichen Malerei fortzusetzen, die Secession
zu bilden.

Das Stiefkind der modernen Kunstentwickelung ist
die Monumentalmalerei. Während in Frankreich Puvis
de Chavannes und Besnard der Freilichtmalerei auch
monumentalen Ausdruck gegeben haben, mangelt es in
Deutschland seit Prells Fresken im Festsaale des Berliner
Architektenhauses an ähnlichen Thaten. Man hat nicht
den Mut, den Thoma, Kalckreuth, Olde, Kampf, Stremel,
Lührig u. s. w. ähnliche monumentale Aufgaben zuzuweisen,
wie den beiden genannten französischen Malern, ihnen an-
zuvertrauen die monumentale Gestaltung des gewöhnlichen
uns umgebenden Lebens, das allein doch für uns ver-
ständlich und interessant ist, wenn es nur richtig aufgefaßt
wird. Man hat diesen Mut nicht, weil man davon eine
lähmende Einwirkung auf jene Art von Idealismus be-
fürchtet, die mit so viel Mühe und doch so jammervollem
Erfolg in den Schülern, in den höheren Töchtern, in
dem Volke großgezogen wird; sind es doch hauptsächlich
die Bildungsstätten des Volkes, die die Wandflächen für
die Monumentalgemälde zu bieten haben.

Der hartnäckige Widerstand gegen die moderne Kunst
beruht nicht auf den Fragen des Freilichts, des Impressio-
nismus oder des Idealismus, sondern auf der viel tieferen
Frage der Weltanschauung. Während auf allen anderen
Gebieten sich neue Anschauungen Bahn brechen, soll auf
dem Gebiete der Kunst die Weiterentwickelung, die Selbst-
ständigmachung durchaus unstatthaft sein. Nun ergiebt
aber das Studium der Kunstgeschichte unweigerlich, daß

der Maßstab für die Beurteilung des Wertes der Kunst-
werke stets wechselt und daß man die Kunstwerke gänzlich
verschiedener Kunstperioden nur dann verstehen kann, wenn
man den jeweiligen besonderen, aus der Zeit geborenen
Maßstab anlegt, den sie erfordern. Die Kunst hat immer
die Aufgabe, dem Geschmack ihrer Zeit zum Ausdruck
zu verhelfen. Der Geschmack ist etwas Positives, wenn
auch nicht ein für allemal Feststehendes (vgl. Richard
Avenarius, Biomechanische Erkenntnislehre), darum giebt
es thatsächlich zu jeder Zeit einen bestimmten Maßstab
für den Kunstgehalt eines Werkes, nur ist er nicht in
alten Werken zu finden, sondern allein in der Schöpfer-
kraft des einzelnen Künstlers. Wo etwas frisch aus dem
Empfinden des Künstlers und somit aus dem Empfinden
der Zeit entspringt, den Bedingungen des Materials ge-
nugthut und den Eindruck der Natur in überzeugender
Weise wiedergiebt, da handelt es sich um ein Kunstwerk,
das immer neu, gut aber nur dann sein wird, wenn es
allen diesen
Erforder-
nissengenügt.

Seidlitz be-
tont schließ-
lich den hohen
materiellen
Wert dieser
Fragen für
das deutsche
Kunstgewerbe
somit für den
deutschen
Volkswohl-
stand, indem er darauf hinweist, daß das Kunstgewerbe
von der Entwickelung der Kunst durchaus abhängig sei.
Insbesondere gelte es, im Jahre 1900 in der Pariser
Weltausstellung den Wettbewerb Frankreichs, Englands
und Amerikas zu bestehen, und dies könne mit Erfolg
nur dann geschehen, wenn man der Fülle von Talenten
in der deutschen Künstlerschaft freie Bahn gewähre zur
Bethätigung ihres Talents. — Wir haben hier kurz
den Inhalt der gedankenreichen und tiefgründigen Schrift
Seidlitz' angegeben, deren Gesamtlektüre wir unseren
Lesern wärmstens empfehlen möchten. Möge die Schrift
die gebührende Beachtung finden. p. Sch.

—ts Gedaukenfpähne

Der naive Künstler und Dichter muß so schaffen, als ob
nie einer sein Werk sehen oder lesen werde. Für das Werk
lebend, lebt er in ihm sein Selbst aus. Nur muß er erst eins
haben. Sonst giebt es nur das Ich. lind dieses Ich denkt
beim Schaffen stets an die Wirkungen, die es ausüben will.
Damit ist aber jede tiefe echte Wirkung im voraus vernichtet.

Künstler und Schriftsteller, die in hohem Ton von ihren
Erfolgen sprechen und fremdes Verdienst verkleinern, sind inner-
lich fast stets über ihre Wirkungen unsicher.

Unglücklich das Talent, das den Traum vom Genie träumt
Ls wird an dem Traum zerschellen, und nicht einmal das rein
gestalten, was es ohne jene Selbsttäuschung hätte verwirk-
lichen können. Gtto von Leirner „Aus meinem Zettelkasten".
 
Annotationen