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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 1
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Van de Velde, Henry: Ein Brunnen von Hermann Obrist
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0053

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EIN BRUNNEN VON HERMANN OBRIST

VON

HENRY VAN DE VELDE

Der Bildhauer Hermann Obrist stellte diesen
Winter in dem Hof des Kunstgewerbehauses
in München einen Brunnen aus, der jetzt noch
dort zu sehen ist. —

Dies Werk erschien mir, als ich es im Januar zu
sehen Gelegenheit hatte, wie ein kalter Museums-
gegenstand, den die düstere Jahreszeit der Verlassen-
heit preisgegeben und seines Schmuckes, der zaube-
risch wehenden, wechselnd leuchtenden Wasser-
schleier beraubt hatte, welche ja im Innern des
Schöpfers als bestimmende Form gedacht waren.

Von jeher habe ich eine besondere Traurigkeit
empfunden vor jedem Werk, welches in ein Museum
verbannt war, und dies Gefühl ist in den letzten Jahren
zu solcher Stärke angewachsen, dass es mir fast
unmöglich geworden ist, was es auch sei zugemessen,
sobald es in einem Museum steht. Dort ist es mir,
als stände ich in einer Versammlung erfrorener
Menschen. Auf den Stirnen der Männer leben noch
bedeutende kühne Gedanken, aber ihre Seelen sind
taub und ohne Antwort, und die Frauen, deren
Augen sonst Spiegel der Wunden ihres Herzens
waren, tragen sie jetzt wie verschleiert.

Für ein Werk, das noch keine Beziehungen zum
Leben gewonnen und sein eigenes Leben noch nicht
gelebt hat, ist es zu früh den Gedanken an ein
Museum zu fassen.

Aber dafür kann Obrist nichts. Er muss dar-
unter leiden, mehr wie wir und um so mehr, als er
an diesem Werk mit der Zuversicht gearbeitet hat,
es uns an dem Ort zeigen zu können, für den er es
erdacht und geschaffen, d. h. für einen Park, wo
die grosse Fee, — das Wasser — dem mächtigen
Vogel die Flügel gebreitet hätte (alle Brunnen sind
Meeresvögel), während er uns hier wie an einem
unwirtlichen Ufer gestrandet erscheint.

Wenn ich nicht so lange, wie es sich gebührte,
bei dieser Enttäuschuug verweile, so geschieht es,

weil wir mehrere sind, — und Obrist gehörte zu
ihnen — welche die Scham des Missgeschicks tragen
gelernt und verlernt haben, über Ungerechtigkeit
zu schreien, sobald es sich um ein wirkliches Kunst-
werk handelt.

Die Kunstgeschichte weiss von wenig Werken,
die entstanden sind, ohne dass nicht Missgeschick
und Ungerechtigkeit ihnen grausame und schmer-
zende Wundmale aufgeprägt hätten. Und der Künst-
ler, dessen Werk ich rühmen will, kann bezeugen,
bis zu welchem Grade jene feindlichen Gewalten
demjenigen die Treue wahren, der — je nach dem
Grad seinerMittel — dabei beharrt, einen Stil schaffen
zu wollen, welcher sich befreit von leblosen Formen,
von Ornamenten ohne Bedeutung, die einer Zeit
widerstreben, von der nur Blinde blind bestreiten
können, dass sie ihre Eigentümlichkeiten, wie ihren
Rhythmus nicht selbst bestimmt habe! Das ganze
Werk von Obrist ist aus diesem kühnen Eigensinn
entstanden, und seine Dichter- und Erzählerseele
ist Grund, dass sein Schaffen sich auf Werke der
Ornamental-Plastik beschränkte.

Den beträchtlichen Teil, den Obrist zu dem
Werden eines Stils beitrug, muss man auf dem Ge-
biet der Ornamental-Plastik suchen. Wenn dieses
Werden langsamer sich vollzog, als wir auf Grund
des anfänglichen Widerhalls gehofft, und wenn wir
ein unverkennbares Rückweichen der Idee bemerken
mussten, an deren nahen Sieg wir glaubten, so ge-
schah dies, wreil eben unter denen, welchen die
neue Furche zu graben aufgegeben war, wenige
standhaft blieben, und wir somit von Abfall zu
Abfall zu der bitteren Erkenntnis getrieben wurden,
dass ausser dreien oder vieren unter uns alle übrigen
die Sache verrieten und zum Feind übergingen,
welcher zu seinem Nutzen Kräfte an Erfindung
und Phantasie dingbar machte, von denen der einige
zwei bis drei Jahre Mode gebliebene Kostümschwank

jC

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