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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 5
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0333

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CHRONIK

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Der Kampf ums Dasein ist eine notwendige Erschei-
nung unseres wirtschaftlichen Lebens und als
solcher wohl berechtigt. Wird er aber auf Kosten anderer
geführt, dann darf es diesem wohl auch gestattet sein, da-
gegen Einspruch zu erheben. Als Vorjahren ein nord-
deutscher Künstler in diesem Sinne zum Kampfe gegen
das französische Bild aufforderte und eine erhebliche
Anzahl Künstler für seine Sache gewonnen hatte, wäre
es wohl niemand eingefallen, sich darüber aufzuregen,
am allerwenigsten der glückliche Besitzer guter fran-
zösischer Bilder, wenn der betreffende Künstler nicht
den Kunsthändler und noch mehr den Privatsammler in
das traurigste Licht gestellt hätte.

Damals hat Herr Paul Cassirer in dankenswerter
Weise die Verteidigung der Privatsammler übernommen.
Die Bewegung scheiterte übrigens, wie das vorauszu-
sehen war, und gute französische Bilder blieben nach
wie vor ebenso gesucht wie gute deutsche Bilder.

Nach dem Künstler meldet sich heute der Kunst-
kritiker, indem er allen Kunstbeteiligten, Kunstgelehrten
sowie Sammlern gratis und franko seinen Artikel „Kunst-
snobismus" (Monatsschrift „Der Greif" Nov. 1913) ins
Haus sendet. Die Anregung zu den Ausführungen scheint
ihm offenbar die Beobachtung gegeben zu haben, dass
der Stern des Kunstkritikers im allgemeinen seit Jahren
im Sinken ist. Und Herr R. hat richtig beobachtet:
nach den sterilen fünfziger und sechziger Jahren des
verflossenen Jahrhunderts war das Kunstverständnis des

* Notiz der Redaktion: Diese Ausführungen sind uns
von einem unserer bedeutendsten Privatsammler eingesandt
worden, der seit sechzehn Jahren selbständig gekauft hat.

Publikums sowohl als auch in besser unterrichteten
Kreisen auf ein sehr tiefes Niveau herabgesunken. Be-
geisterten Kunstempfindern wie Muther und Meyer-
Grä'fe mit ihren grossen Vorzügen und kleinen Fehlern,
wie Tschudi und Lichtwark in Deutschland und ihren
Geistesverwandten in Frankreich gelang es, in den dar-
auffolgenden Jahrzehnten einen glücklichen Umschwung
herbeizuführen, dem Publikum die Augen zu öffnen und
es über die wahren Ziele der Kunst zu belehren. Aus-
stellungen und Vorträge ohne Zahl folgten in allen
Gauen Deutschlands; in den kleinsten Städten standen
Apostel auf, um begeistert von den neuen Errungen-
schaften zu erzählen; die Literatur that das übrige und
noch ein Jahrzehnt und wir standen vor einem Publikum,
das nicht mehr Hübsches von Hässlichem, sondern Gutes
von Schlechtem zu unterscheiden wusste. Es kam die
Zeit, wo sich das kunstverständige Publikum vom Kunst-
kritiker befreien konnte, wo es ein selbständiges Urteil
über alle Erscheinungen in der Kunst hatte und auch
selbständig kaufte: die Herren Kritiker waren überflüssig
geworden.

Die hervorragendsten deutschen Künstler, Leiblund
Menzel, waren gestorben und ihre Werke waren nicht
mehr zu „sammeln", man musste den Erwerb eines
guten Bildes eines dieser Künstler als einen Glückszufall
ansehen. Die dem Publikum teuer gewordenen Bilder
von Uhde, Liebermann, Trübner, Slevogt und noch
einiger Auserwählter aus ihrem Gefolge, je nach Ge-
schmacksrichtung auch Thomas und Kalckreuths, wur-
den eifrig gesucht. Die Reihe der lebenden und zu
„sammelnden" Künstler in Deutschland war damit aber

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