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JULIUS PASCIN, ZEICHNUNG
JULIUS PASCIN
VON
KARL SCHEFFLER
Es ist nicht eben leicht, zur Schönheit der Pascin-
schen Bilder, Aquarelle und Zeichnungen, vor-
zudringen. Denn man muss erst einen Ekel über-
winden. Besonders schwer fällt es dem deutschen
Kunstfreund, weil er gewöhnt ist, mit einer idealen
Formenschönheit der Kunst immer auch etwas stoff-
lich Edles, Bedeutendes oder Romantisches zu ver-
binden. Der französische Betrachter hat es leichter,
weil der jüdische Rumäne, der seinen Namen so
geschickt umstilisiert hat, in Paris heimisch ist und
nur von selten der französischen Tradition zu ver-
stehen ist. Er steht am Ende einer Linie, die schon
bei Fragonard beginnt, die über den Zeichner Ga-
varni geht, über Lautrec verläuft und auch den
englischen Spätling Beardsley berührt. In Frank-
reich kannte man den Trieb, der der Kunst Pascins
eigentümlich ist, bereits früh im neunzehnten Jahr-
hundert — den Trieb, im Milieu sozialer Verkom-
menheiten die Blume einer neuartigen Schönheit
zu pflücken. Der grosse Daumier hat diesen Trieb
legitimiert, Degas hat ihn geadelt, Lautrec hat ihn
genial raffiniert, und viele weniger bedeutende Ta-
lente sind gefolgt. Es ist bezeichnend, dass sie alle
zugleich Karikaturisten und Virtuosen der reinen,
der schönen Form gewesen sind. In unserer Zeit
sind diese beiden Elemente ja überhaupt fest ver-
wachsen: Karikatur und Artistik. Aus dem sozial
Grotesken springen den Zeichnern neue Formreize
überall entgegen. In diesem Sinne gewinnt auch
Pascin mit seinem geistvollen Talent aus dem übel-
riechenden Milieu öffentlicher Häuser eine zarte
und zierliche Schönheit. Bei ihm lebt, wie bei
Lautrec in viel ursprünglicherer Weise schon, das
Rokoko — das am Hofe des fünfzehnten Ludwig
geborene Rokoko, in dem sich eine kleine Renais-
sance der Gotik gesellschaftlich lüstern und schäfer-
lich tändelnd verbirgt — im Milieu des Montmartre
wieder auf. Es ist nun ein Boheme-Rokoko, im
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JULIUS PASCIN, ZEICHNUNG
JULIUS PASCIN
VON
KARL SCHEFFLER
Es ist nicht eben leicht, zur Schönheit der Pascin-
schen Bilder, Aquarelle und Zeichnungen, vor-
zudringen. Denn man muss erst einen Ekel über-
winden. Besonders schwer fällt es dem deutschen
Kunstfreund, weil er gewöhnt ist, mit einer idealen
Formenschönheit der Kunst immer auch etwas stoff-
lich Edles, Bedeutendes oder Romantisches zu ver-
binden. Der französische Betrachter hat es leichter,
weil der jüdische Rumäne, der seinen Namen so
geschickt umstilisiert hat, in Paris heimisch ist und
nur von selten der französischen Tradition zu ver-
stehen ist. Er steht am Ende einer Linie, die schon
bei Fragonard beginnt, die über den Zeichner Ga-
varni geht, über Lautrec verläuft und auch den
englischen Spätling Beardsley berührt. In Frank-
reich kannte man den Trieb, der der Kunst Pascins
eigentümlich ist, bereits früh im neunzehnten Jahr-
hundert — den Trieb, im Milieu sozialer Verkom-
menheiten die Blume einer neuartigen Schönheit
zu pflücken. Der grosse Daumier hat diesen Trieb
legitimiert, Degas hat ihn geadelt, Lautrec hat ihn
genial raffiniert, und viele weniger bedeutende Ta-
lente sind gefolgt. Es ist bezeichnend, dass sie alle
zugleich Karikaturisten und Virtuosen der reinen,
der schönen Form gewesen sind. In unserer Zeit
sind diese beiden Elemente ja überhaupt fest ver-
wachsen: Karikatur und Artistik. Aus dem sozial
Grotesken springen den Zeichnern neue Formreize
überall entgegen. In diesem Sinne gewinnt auch
Pascin mit seinem geistvollen Talent aus dem übel-
riechenden Milieu öffentlicher Häuser eine zarte
und zierliche Schönheit. Bei ihm lebt, wie bei
Lautrec in viel ursprünglicherer Weise schon, das
Rokoko — das am Hofe des fünfzehnten Ludwig
geborene Rokoko, in dem sich eine kleine Renais-
sance der Gotik gesellschaftlich lüstern und schäfer-
lich tändelnd verbirgt — im Milieu des Montmartre
wieder auf. Es ist nun ein Boheme-Rokoko, im
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