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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 5
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Goldschmidt, Adolph: Alfred Lichtwark
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0279

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ALFRED LICHTWARK f

VON

ADOLPH GOLDSCHMIDT

urch den Tod Alfred Licht-
warks haben, über die Gren-
zenHamburgs,über dieGren-
zen Deutschlands hinaus, das
Interesse und das Wirken für
die lebende Kunst einen har-
ten Schlag erlitten. Seine
Meinung wog schwer bei
Entscheidungen in allen aktuellen Fragen. Sein
offenes Auge, seine Abneigung gegen alles, was
nicht innerlich empfunden, sondern nur äusserlich
nachgeahmt war, was nach etwas aussehen sollte,
aber keinem natürlichen Bedürfnis entsprang, seine
gesunde Politik, die mit dem rechnete, was für die
Zukunft Früchte versprach und sich dem wider-
setzte, was beschränkten Anschauungen als ein
müheloses Auskommen erschien, stempelten ihn zum
Ratgeber, wo es sich um Schaffenspläne handelte.
Wie mit einer Wünschelrute begabt fühlte er,
wo die Lebenssäfte auf künstlerischem Gebiet am
kräftigsten emporstiegen. Bald hier, bald dort griff
er zu, um zu fördern, zu bessern, aber auch fest-
zuhalten und zu retten. Er hat die künstlerische
Vergangenheit Hamburgs der Vergessenheit ent-
rissen, die Dokumente der früheren Jahrhunderte
für alle Zukunft in der Kunsthalle festgelegt. Er
hat dies gethan im Augenblick, ehe es zu spät war.
Er hat den bedeutenden Aufschwung in der
modernen Malerei mit seiner Vaterstadt zu ver-
knüpfen gesucht, und da dort die grossen Künstler
nicht zu Hause waren, hat er sie von auswärts zu
Porträtaufträgen herangezogen und ein Band ge-
schlungen zwischen ihnen und hervorragenden Per-
sönlichkeiten der Stadt. Er hat sie auch veranlasst,
die Hamburger Landschaft zu malen. So beherbergt
das Museum Ausschnitte aus der eigenen Stadt, dem
Hafen und der Alsterufer, wie sie das Auge grosser
Maler aufnahm, ohne dass es doch zu einer ein-
heimischen Kunstblüte gekommen war. Denn trotz-
dem auch hierzu Lichtwark es nicht an Versuchen
fehlen Hess, jüngere ansässige Maler auf die von ihm
als richtig angesehene Bahn zu bringen, trotzdem
er die begabten durch Aufträge und Ratschläge
unterstützte: ein wirkliches Künstlertum konnte er
so wenig wie irgendein anderer erschaffen. Aber
in späterer Zeit wird ein Besucher der Kunsthalle
den Eindruck haben, als hätte die Blüte der deut-

schen Künstlerschaft um die Wende vom neun-
zehnten zum zwanzigsten Jahrhundert Hamburg
zu einem Hauptsitz ihrer Wirksamkeit gewählt.
Damit hat Lichtwark seiner Heimat ein köstliches
Denkmal kunstfördernder Energie gesetzt. Er hat
daran anknüpfend, rückwärtsschauend alles hervor-
geholt, was an künstlerisch Schöpferischem im neun-
zehnten Jahrhundert dort erzeugt worden war, bis
zurück auf Ph. O. Runge. Er spürte vor allem die-
jenigen Werke auf, die von Konventionen und
akademischem Zwang frei waren und frisch aus
der Natur schöpften. Eine Reihe von Bildern mit
selbständigen Licht-undFarbenbeobachtungen sollte
die Verbindung zwischen den Alten und den Neuesten
herstellen, und so ist die Kunsthalle zu einem Schau-
platz kontinuierlicher einheimischer Kunstpflege ge-
worden, wie ihn schwerlich eine andere Stadt in
einem zeitlich so grossen Umfang besitzt.

Lichtwark hat sich aber auch die Gelegenheiten
nicht entgehen lassen, wo es sich um das Festhalten
Hamburgischen Kunstbesitzes handelte. Zu dem
schon vorhandenen älteren Bestand niederländischer
Bilder des siebzehnten Jahrhunderts kam die Samm-
lung Wesselhöft, von der Sammlung Weber wenig-
stens ein hervorragender Teil, und es war durch
seine Bemühungen nahe dazu gekommen, die ganze
Sammlung Kann in Paris zu erwerben, bis dann
doch der internationale Kunsthandel dazwischentrat.
Lichtwark hatte mit allen Kräften zur Herbeischaf-
fung der Summe hingearbeitet, denn es schien ihm,
trotz aller Betonung des Heimatlichen, doch für
eine Stadt, die Ansprüche auf höchste Kultur macht,
als eine Notwendigkeit, alte Kunstwerke von inter-
nationaler Bedeutung, Meisterbilder ersten Ranges
und unbestrittener Vorbildlichkeit zu besitzen.

Lichtwark liebte die schöne Form des Lebens, wo
sie einen inneren Sinn hatte, die Eleganz, wo sie von
bewusster Kultur getragen wurde, den Genuss, wo er
nicht zügellos verausgabte, sondern einen Gewinn an
Eindrücken und Empfindungen bedeutete. Er teilte
den Tag in Pflichterfüllung und freie Bethätigung,
scharf diszipliniert zu Hause und auf der Reise. Er
verschenkte die Freundschaft nach reiner Sympathie
und nahm sie dankbar an, wo sie ihm geboten wurde
von den Jüngsten, die verehrend zu ihm aufblickten,
bis zu den Altersgenossen und Älteren, die in ihm
den immer lebendigen Unterhalter, den auf alles
 
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