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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 9
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Einstein, Carl: Anmerkungen zur französischen Plastik und der Kunst des Jean Baptiste Carpeaux
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0538

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J. B. CARPEAUX, BEKRÖNUNG AM FLORA PAVILLON DER TU1LERIEN

ANMERKUNGEN ZUR FRANZÖSISCHEN PLASTIK

UND DER KUNST DES

JEAN BAPTISTE CARPEAUX

VON

CARL EINSTEIN

Kaum erneuerte sich jemals eine Kunst dermassen
bedingt wie die französische Plastik, unter zwei-
felhaften, ja gefährdenden Voraussetzungen. Man
vergass den Besitz der einzigen Gotik und verstand
ihre Form nicht mehr, wenn sie, auch wie zufällig,
in Werken wie dem „Bruno" Houdons, den Bour-
geois de Calais und dem „Balzac" Rodins blitzhaft
aufleuchten mochte. Ein Erneuern der Tradition
wurde nötig, wenn überhaupt noch französische
Plastik sein sollte.

Die italienische Renaissance hatte einen neuen
Formgedanken vorbereitet, das Barock. Vielleicht
ist es erlaubt, das Barock einmal der Renaissance
voranzustellen, zumal wir glauben, dass erst mit
diesem ein ursprünglicher Gedanke ausgezeichnet
wurde, der uns Heutige wieder zu gestalten anhebt
und unseren Formvorstellungen eingeordnet wird.

Man unterschätzt vielleicht infolge der Primitivität
mancher unserer Künstler, die sich in ihren Arbeiten
einer anders gearteten elementaren Haltung hin-
geben, das Barock und wehrt sich, ihm hemmungs-
los nachzugehen. Man tadelt die Überfülle, das
kraus gerollte dieser Ornamente. Lag es doch nahe,
das Barock mit dem Stillosen zu verkuppeln und
sein Elementares als Grossmannssucht und wüstes
Übertreiben scheltend zu beschauen. So begreifen
wir, dass man der Natur Michelangelos trotz allem
Lobpreisen und Beschwärmen zweifelnd und miss-
trauisch gegenüherstand, sogern man ihn auch zum
Prototyp des Schöpferischen erhob.

Das Barock war eine neu erfundene Formenwclt,
fähig, das ganze Empfinden und Leben auf sich zu
beziehen und zu beherrschen. Allerdings, es mag
wahr sein, das Barock wurde in einer vielleicht

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