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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 8
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Kristeller, Paul: Gemälde-Erhaltung und Gemälde-Restauration
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0475

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GEMÄLDE-ERHALTUNG UND GEMÄLDE-RESTAURATION

VON

PAUL KRISTELLER

i

|



ie Äusserungen der Tagespresse
über die Ausbesserung der durch
einen vandalischen Angriff ver-
letzten Venus von Velazquez in
der Londoner National-Gallery
haben deutlich erkennen lassen,
wie wenig Verständnis man dem
wichtigen und schwierigen Pro-
blem der Gemäldeerhaltung ent-
gegenbringt. Für einen Angriff auf Gemälderestau-
ration im allgemeinen war das Beispiel so ungeeignet wie
möglich. Denn gerade in diesem Falle ist eine Repara-
tur unumgänglich und ohne besondere Schwierigkeiten
gut auszuführen. Missbräuche und Gewaltsamkeiten
bei der Gemälderestauration haben zu verallgemeinern-
den absprechenden Urteilen über diese Technik als
solche und über ihre Berechtigung geführt und ein
übertriebenes Misstrauen gegen jede Massnahme zur
Erhaltung alter Bilder hervorgerufen. Man vergisst da-
bei die Hauptsache, nämlich zu unterscheiden zwischen
den für die Erhaltung eines Gemäldes notwendigen
Arbeiten und der Restauration, im gewöhnlichen Ver-
stände, der Überarbeitung schadhafter und der Ergän-
zung fehlender Teile.

Dass das für die Erhaltung des Gemäldes Notwen-
dige geschehe, dass der Träger der Farbschicht gesichert,
Blasen niedergelegt, der schlechte Firnis regeneriert
werde und so weiter, wird jeder Einsichtige für selbst-
verständlich halten. Man hat aber ausser dieser Pflicht,
für die Erhaltung des Bildes zu sorgen, auch das wissen-
schaftlich wie künstlerisch berechtigte Verlangen, die
alte Malerei von verdeckenden oder gar entstellenden
Übermalungen und von trüben Schmutz- und Firnis-
schichten zu befreien. Es wäre doch ein unerträglicher
Gedanke, unter rohen Übermalungen, die oft durch nur
kleine Schäden veranlasst worden sind, herrliche Formen
und Farben verborgen zu wissen und sie nicht ans
Licht bringen zu dürfen. Wer wird eine schöne antike
Statue, die er an einem Orte vergraben weiss, nicht aus
der Erde befreien wollen, selbst auf die Gefahr hin,
dass sie bei der Arbeit des Ausgrabens vielleicht ver-
letzt werden könne!

Zur vorsichtigen und sorgfältigen Entfernung solcher
Übermalungen ist man also wohl berechtigt, und man ist
dazu auch sehr wohl imstande. Natürlich kann nur ein
kundiger und erfahrener Blick die Übermalung und ihre
Art erkennen und nur eine ruhige, geschickte Hand sie

entfernen, ohne die alten, originalen Schichten anzu-
greifen.

Ohne zwingende Notwendigkeit wird kein gewissen-
hafter Chirurg einen operativen Eingriff in einen Körper
unternehmen, denn Gefahr ist mit jeder Operation ver-
bunden. Auch der Besitzer oder Verwalter einer Ge-
mäldesammlung steht hier vor der Wahl zwischen dem
grösseren und dem kleineren Übel und wird das not-
wendige Übel eines Angriffes auf die Farbfläche seines
Bildes auf das geringste Maass zu beschränken suchen.
In recht vielen Fällen sind alte vorzügliche Gemälde
unter entstellenden Übermalungen herrlich und fast un-
verletzt zu Tage getreten, so dass man öfters nicht ohne
Berechtigung von einer „malerischen Ausgrabung" hat
reden können. Die Jahrhunderte sind eben nicht spur-
los an den alten Bildern vorübergegangen, und auch
heute sind sie selbst in den bestbewachten Galerien
von Unfällen aller Art nicht sicher. Wer einige Erfahrung
hat, weiss, wie Bilder unserer Zeit in wenigen Jahr-
zehnten nicht nur in der Schätzung sondern auch in
ihrem Aussehen sich gewandelt haben. Man kann bei-
nahe sagen, dass es vollkommen intakte alte Bilder über-
haupt nicht giebt. Wohl oder übel wird man also fast
jedes alte Gemälde durch die Hände des Restaurators
gehen lassen müssen.

Die häufigen Klagen, dass Bilder beim Reinigen rui-
niert, verputzt worden wären, sind heute, wenigstens
was die grossen, gut verwalteten Galerien anbetrifft,
meist grundlos, jedenfalls fast immer unbewiesen. Wer
nicht die Arbeit des Reinigens Tag für Tag, ja Stunde
für Stunde verfolgt hat, kann gar nicht darüber urteilen,
ob ein Bild bei dieser Reinigung verputzt worden sei,
weil er nicht wissen kann, was unter der oft mehr-
fachen, dicken, farbigen Firnisschicht und unter den
Übermalungen gesteckt hat. Der Schwerpunkt liegt hier
in der Auswahl der geeigneten Persönlichkeit und in der
Ruhe und Zurückhaltung des ihre Arbeit Überwachenden.
Ein vorsichtiger, geschickter Restaurator, der die nötige
Erfahrung und das noch nötigere Phlegma besitzt, wird
nicht leicht in Gefahr kommen, die alten, gut erhaltenen
Teile der Farbenschicht anzugreifen und zu beschädigen,
wenn er seine Thätigkeit auf die Reinigung und Erhal-
tung der Gemälde beschränkt.

Hiermit ist aber auch die Grenze seiner Aufgabe
wenn nicht scharf, so doch im Prinzip ganz bestimmt
gezogen. Jeder Versuch, fehlende Teile zu ergänzen,
Löcher und Risse zu übermalen, abgeriebene Farb-

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.;%.
 
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