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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 2
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0152

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CHRONIK

DER KONGRESS FÜR ÄSTHETIK UND
KUNSTWISSENSCHAFT

Vom 6.—9. Oktober fand in Berlin der erste Kongress
für Ästhetik und Kunstwissenschaft statt, der der Initia-
tive Max Dessoirs zu danken war. Der Kongress arbei-
tete in vier Abteilungen; es ist daher unmöglich vor
dem Erscheinen des gedruckten Berichtes ein ab-
schliessendes Urteil über seine Leistung abzugeben.

Gut mag es auf alle Fälle gewesen sein, dass sich
so verschiedene wissenschaftliche und künstlerische Ar-
beiter zusammen fanden, die wegen ihrer Isoliertheit
gerade ihr eigenes Arbeitsfeld kaum klar abgrenzen und
fruchtbringend bestellen können. Wenn ich nach den
Stichproben urteilen darf, die ich nehmen konnte, steht
es mit der eigentlich philosophischen Ästhetik gar übel.
M. Victor Basch, den man aus Paris verschrieben hatte,
durfte in seinem Vortrage über die Objektivität des
Schönen abgestandene und abgeschmackte Phrasen zum
Besten geben, ohne auf ernstliche Empörung zu stossen.
Ich will zugeben, dass diese Leistung in ihrer — Unbe-
fangenheit allein stand; gleich der folgende Vortrag von
Jonas Cohn zeigte die ernsthafteste deutsche Tradition,
Gründlichkeit, Behutsamkeit. Aber dem Schicksal aller
allgemeinen, philosophischen Ästhetik verfiel er darum
um so mehr: dem nämlich, kantische Gedanken und
nochmals kantische Gedanken zu drehen, zu wenden.
Gibt es keine Ästhetik nach Kant? Dann muss die
„Kritik der Urteilskraft" kanonisiert werden, und die
Ästhetik nimmt den bescheidenen Namen der Kunst-
wissenschaft an. Die Kunstwissenschaft, insofern sie an
dem Kunstmaterial Bildungsgesetze aller Art aufzufinden
sucht, hat ja einen reichen Stoff vor sich liegen; hier ist
gewiss eher etwas zu leisten. Ich hörte zum Beispiel
einen temperamentvollen Vortrag von Alfred Heuss
(Leipzig), worin gezeigt wurde, wie Text und Melodie
unserer Strophenlieder oft erst dann in ihrer künstle-
rischen Koincidenz sich offenbaren, wenn wir diejenige

Strophe zu finden wissen, die in der Phantasie des
Komponisten den musikalischen Funken schlug. Es ist
sehr oft eben nicht die erste. Die ursprünglich kompo-
nierte Strophe zeigt erst die melodische Erfindung in
ihrer künstlerischen Feinheit. Der Gedanke ist über-
zeugend und sehr fruchtbar. Ein interessantes Problem
der Rhythmik (das Verhältnis des jambischen zum tro-
chäischen Empfinden) behandelte Ohmann. Ich glaube
in der Bearbeitung solcher Probleme liegt eine Aufgabe
für die Kunstwissenschaft, und sie wird ihre Thätigkeit
um so eher fruchtbar machen, je kleiner, je enger das
Problem ist, das sie sich stellt. Während, wie Jean Paul
sagt, „von den neueren tranzszendenten Ästhetikern
der Philosoph nicht mehr als der Künstler, das heisst
ein halbes Nichts, erbeutet", ist von dem bescheidenen
Aufstellen kleiner ästhetischer Aufgaben doch einiger
Ertrag zu hoffen, wenn der Forscher den andern Fehler
des Ästhetikers zu vermeiden weiss, „den Demant der
Kunst als ein Aggregat von—Demantpulverzu erklären."
Es ist ein gefährlicher Bezirk, in dem der Ästhetiker
arbeitet, und er wird kaum der Gefahr entgehen, ent-
weder als Künstler oder als Philosoph zum Dilettanten
herabzusinken. Wie überzeugend klang es doch, als
Friedrich Kayssler seine schönen Bekenntnisse über das
Wesen der Schauspielkunst vorlas. Es gab da Worte
aus der echten Sphäre der Kunst, Worte, die den Zugang
dahin in zarter Weise anzudeuten und doch dem Un-
berufenen den Weg zu verhüllen schienen. Bei solchen
Erlebnissen will der Zweifel an der Möglichkeit dieser
ganzen ästhetischen Wissenschaftelei einen nicht los-
lassen. Der Anhauch des echten Künstlers bläst das
meiste davon als Nebel in die Luft. Das meiste nur;
denn die Frage: was ist das Gesetz der Kunst? bleibt.
Wer wird sie lösen? „Die rechte Ästhetik wird von
einem, der Dichter und Philosoph zugleich zu sein
vermag, geschrieben werden; er wird eine angewandte
für den Philosophen geben und eine angewandtere für

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