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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 2
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Scheffler, Karl: "Imperator": ein Offener Brief an den Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0108

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SJ



das Recht ein solches Werk zu kritisieren und eifer-
süchtig darüber zu wachen, dass die deutsche Arbeit
ihrem höchsten Können nach repräsentiert erscheint.
Dieses ist beim „Imperator" aber, in einem Punkte
wenigstens, nicht der Fall.

Von dem Technischen der Riesenleistung verstehe
ich nichts. Ich habe nur das Gefühl, dass es sich um
etwas Ausserordentliches handelt; es setzt mich das in
unendlicher Arbeitsteilung gewonnene Resultat in Er-
staunen, es imponiert mir die Art wie eine ungeheure
Summe von Intelligenz und Erfahrung einem einheit-
lichen Plan dienstbar gemacht worden ist und ich fühle
Ihnen gegenüber etwas wie persönliche Dankbarkeit,
weil Sie, als der Direktorialimperator einer mächtigen
Gesellschaft, Ihre Autorität in einer für die Nation
so ehrenvollen Weise geltend zu machen verstehen. Je
mehr ich aber die technische und kaufmännische Lei-
stung instinktiv bewundere, um so mehr muss ich das
Gewand der Kunst, womit sich der „Imperator"
schmückt, geringschätzen. Und hier stehe ich auf
festem Boden, hier habe ich, selbst wo mir nur Ab-
bildungen zur Verfügung stehen, ein Urteil.

Es ist eigentlich zum Erstaunen, dass Sie, ein so
modern empfindender Mensch, den unerträglichen Wi-
derspruch nicht fühlen, der zwischen dem grandios
Technischen und dem kleinlich Künstlerischen dieser
Schiffsbaukunst klafft; dass Sie nicht fühlen, wie diese
ganze sogenannte Kunst in keiner Form organisch aus
der Konstruktion, der Technik, den Zwecken und der
Idee des Ganzen hervorgegangen ist, sondern wie sie
etwas Hinzugefügtes ist, das auch ganz anders sein
könnte. Für die, die seit manchem Jahr für eine neue
architektonische Kunst kämpfen, ist die Erfahrung
sehr bitter. Sie zeigt, welche Fortschritte die Reaktion
schon wieder gemacht hat, zeigt, dass der schöpfungs-
arme Eklektizismus sich die neuen Arbeitsgebiete sogar
erorbert und dass die schönen Ansätze zu einem neuen
Stil, der moderner Lebensgesinnung entspricht, kaum
noch beachtet werden. Gehen Sie im Geiste flüchtig
durch die repräsentativen Haupträume des „Impera-
tor". Überall, wo die Kunst beteiligt ist, sehen Sie die
Tendenz, das Schiff vergessen zu machen. Das will
sagen: diese ganze Schiffskunst ruht auf einer Lüge.
Die Kabinen der ersten Klasse sind eingerichtet als
seien es Wohnräume in festen Landhäusern. Ein
stuckartiger Plafond, Wände, die wie gemauert aus-
sehen, Schränke, freistehende Betten und Sessel, kurz
eine Einrichtung, als ob es ein Schaukeln nicht gäbe.
Wie muss einem aber erst werden, wenn man in dem
grossen Treppenhaus weilt. Stil Louis XVI.; in jeder
Form das deutliche Streben den über die breiten Trep-

pen Dahinwandelnden glauben zu machen, er befinde
sich in einem massiven Bauwerk, in einem festen
Adelsschloss. Halten Sie, der Mann kaufmännischer
Realpolitik, es wirklich für vernünftig, halten Sie es
für künstlerisch moralisch, wenn in die sinnreichen
Eisenkonstruktionen der Schiffsbaumeister ein franzö-
sisches Königsschloss hineingekünstelt wird? Fällt nicht
auch Ihnen auf wie grotesk es klingt, wenn gegenüber
einer solchen Innenarchitektur noch an dem Ausdruck
„erste Kajüte"festgehalten wird. Das schöne, bezeich-
nende Wort Kajüte allein kritisiert Ihre ganze Louis-
seize-Pracht in Grund und Boden. Noch schlimmer
wird es aber in den allzu üppig ausgestatteten Restau-
rationsräumen. Dort haben Ihre Pseudokünstler sich
nicht gescheut, die Decken von Säulen tragen zu lassen,
von vorgeblichen Steinsäulen, die, mehr als jedes andere
Bauglied, im Boden wurzeln und fest auf einer festen
Basis ruhen sollen! Nie ist das Griechische mehr pro-
stituiert worden als in dem vielgerühmten Schwimm-
bad, dem banaler Architektenwitz den Charakter eines
pompejanisehen Bades verliehen hat. Und ein nied-
licher Blödsinn ist auch das Rauchzimmer im soge-
nannten „Tudorstil", dessen Geweihschmuck und dessen
Wände aus Fachwerk, dessen steinerner Kamin auf
ein Jagdschloss im Walde deuten. Dass ein Winter-
garten auf einem Schiff für unentbehrlich gehalten
wird, dass im Ballsaal durch vier Meter hohe Bogen-
fenster und durch einen gemalten Plafond nachdrück-
lich die Illusion erweckt wird, die Passagiere seien
irgendwo in einem Kurhaus, entspricht derselben Denk-
art, derselben Unwahrhaftigkeit. Das Merkwort dieser
ganzen Schiffskunst ist: Surrogat!

Im Ernst, halten Sie diese Täuschungskünste für
schön oder nur für würdig; oder haben Sie das alles
nur für die internationale Kundschaft und gegen Ihre
Überzeugung gethan? Eines wäre so angreifbar wie
das andere. Ich mag mir nicht vorstellen, dass auch Ihr
hanseatisches Selbstbewusstsein mit dem lächerlichen
Ehrgeiz gewisser Grossindustrieller und Grosskauf-
leute sympathisiert, die sich, wenn sie zu Reichtum und
Ansehen kommen, ein altes preussisches Adelshaus er-
werben oder ein altes Palais kopieren, um dadurch
selbst altadelig zu erscheinen — die also das Patrizier-
tum ihrer modernen Lebensgesinnung, ihrer Arbeit und
ihres Führertums für nichts achten. Ich kann mir nicht
denken, dass Ihnen das Parvenüspiel vieler moderner
Grossbourgeois mit historischen Kunstformen Befriedi-
gung gewährt. Wer so arbeitet wie Sie und Ihres-
gleichen, wer solche Erfolge aufzuweisen hat, wer das
Leben so tief revolutioniert, muss notwendig doch das
Bedürfnis nach einem Kunststil haben, der mit seiner

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