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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 3
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Pauli, Gustav: Dürers Landschaftszeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0170

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ALBRECHT DÜRER, STEINBRUCH
BREMER KUNSTHALLE

gotische Kunstgesinnung zu einem letzten höchsten
Ausdruck. In seinen unerhörten malerischen Vi-
sionen flammt alles, was jene Welt bewegte, noch
einmal auf: ein Grauen vor rätselhaften Mächten
der Finsternis, eine religiöse Inbrunst, die den Him-
mel offen sieht, eine Ekstase, die sich an Blut und
Wunden weidet und dann wieder in stürmischer
Zärtlichkeit schwelgt. Jeder Pinselstrich seiner Hand
verrät die zitternde Erregung seines Herzens. Wie
ruhevoll dagegen Holbein! Man stelle sich in Ge-
danken Holbeins „Christus im Grabe" neben Grüne-
walds „Kreuzigungsaltar". Wenn weiche Gemüter
bei Holbein etwas grauenhaft finden, so könnte es
wohl nur die Sachlichkeit sein, mit der die Ver-
wesungserscheinungen am Leibe des Gottessohnes
abgemalt sind oder die Ironie, die in den Toten-
tanzbildern mit Freund Hain ihren Scherz treibt.
In Holbeins geistigem Haushalt scheint alles wohl

geordnet gewesen zu sein, ungestört
von grüblerischem Zweifel an den
Zielen und Aufgaben des Daseins. Wie
bezeichnend ist es, dass er sich zu Eras-
mus fand! So stehen sie nebeneinander,
der grosse Maler und der grosse Ge-
lehrte, in der kühlen Morgenhelle
unserer modernen Kultur.

Und Dürer? Sein Geist gehörte
beiden Welten, der versinkenden
Geisteswelt eines Grünewald und der
neuen Welt eines Holbein. In ihm
war Mystik und Rationalismus, Ekstase
und Sachlichkeit, frommer Ernst und
spielende Laune, Künstlertum und Ge-
lehrtentum. Und der tragische Zug
seines Wesens — giebt es grosse
Menschen ohne einen solchen? —
dieser tragische Zug bestand eben darin,
dass er sich in dem hoffnungslosen
Bemühen verzehrte, das Disparate zu
versöhnen, um durch den Bund von
Wissenschaft und Kunst das Höchste zu
erreichen. Wohl haben um dieselbe
Zeit grosse Künstler Italiens etwas
Ahnliches proklamiert. Nur war in
ihnen, zumal in Leonardo, das Künstler-
tum so übermächtig, dass es die
Wissenschaft unbeschadet in seine
Dienste nehmen konnte. Leonardo hat
der Forscherarbeit nur Zeit geopfert;
von Dürer aber kennen wir — nicht
Bücher, sondern Bilder, in denen
der klügelnde Theoretiker den Künstler schier
erwürgt hat. Man liebt es, sie zu vergessen,
wenn man seiner gedenkt. Jedenfalls hat der Ruhm
Dürers durch diese Dinge nie das Geringste ein-
gebüsst. Vielmehr wurde die Zwiespältigkeit seines
Wesens lediglich als Reichtum aufgefasst, aus dem
er verschiedene Zeiten und Menschen mit dem Ihren
beschenken konnte.

Nur ein Abschnitt seines Lebens war von der
quälenden Problematik frei — seine Jugend. Eben
diese aber enthüllt sich nur langsam unseren Blicken,
nnd zwar vornehmlich aus dem angedeuteten
Grunde, weil die Pietät sich dagegen sträubt, an
der traditionellen Vorstellung von Dürer etwas zu
ändern. Doch allmählich ist in den letzten beiden
Jahrzehnten so vieles Neue von der Thätigkeit des
jungen Dürer bekannt geworden, dass man es aus-
sprechen darf, die grosse Holzschnittfolge der Apo-

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