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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 4
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Fechheimer, Hedwig: Die neuen Funde aus Tell El-Amarna
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0262

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nachahmung, sondern Komposition, Formerlebnis
eines Künstlers. Eine Vorstellung ist abgebildet,
nicht ein Modell. Solche Formvorstellungen mögen
häufig auf Anregungen der Natur zurückgehen;
imSchaffensprozess spricht nicht mehr die Herkunft
mit, sondern der innerlich vorgeschriebene Verlauf.
Ein ähnlicher unfertiger Kinderkopf aus sehr hartem
violettem Sandstein, der für Kairo bestimmt ist,
trägt noch die schwarze Vorzeichnung der Augen;
er führt, mit anderen halbvollendeten oder erst an-
gelegten Stücken des glücklichen Fundes, in die
ägyptische Werkstattpraxis ein.

Besonders deutlich weist die Seitenansicht des
braunen Sandsteinkopfes (Abb. 7), der weniger
durchmodelliert ist, auf die tektonische Absicht,
während ein gleicher im Besitz des Berliner Mu-
seums (aus der vorangegangenen Grabung) in seinen
vielfältig abgesetzten Flächen und Buckeln das neue
detaillierte Formgefühl der Zeit anzeigt. So scheint
Teil el-Amarna der Ausgangspunkt der differen-
zierten plastischen Anschauungen zu sein, die sich
am reinsten erst ein halbes Jahrtausend später in den
Schieferköpfen der saitiischen Periode zum Beispiel
dem berühmten grünen Kopf des Berliner Museums
ausprägen, deren künstlerische Herkunft aus Ägyp-
ten nun nicht mehr zu bezweifeln ist.

Eines der besten Stücke des ganzen Fundes und
der Teil el-Amarna Kunst ist der dem Museum zu
Kairo gehörige Torso aus Sandstein (Abb. 0). Die
Illusion des lebendigen Fleisches ist in dem harten
violetten Stein vollständig erreicht; elastisch wach-
sen die Formen auseinander hervor, grenzen sich in
bestimmten, doch weichen Biegungen gegen die
Luft ab.

Neben der Statuette der Königin kommt ihr
grösserer Kopf aus braunem Sandstein (Abb. 1 o)
zur Geltung, der nach L. Borchardts Vermutung,
ebenso wie die anderen mit Zapfen versehenen
Köpfe und Gliedmaassen, zu einer polychromen
Gruppe gehörte. Das berühmte, gleichfalls ausge-
stellte Köpfchen der Teje aus der Sammlung James
Simon erweist für diese Zeit Versuche, die in
Ägypten übliche Bemalung der Figuren durch
verschiedenfarbiges Material zu ersetzen, was mit
der gesamten Neigung der Teil el-Amarna Kunst
zu einem begrenzten Naturalismus gut zusammen-
stimmen dürfte. Borchardt nimmt an, dass zu
den dunkelgelben Köpfen und Gliedern bekleidete
Körper aus weissem Alabaster gehörten. Endlich
sei noch auf den wichtigen Fund einer plastischen
Gruppe aus Kalkstein hingewiesen. Bei einem

solchen koloristischen Verfahren verliert und ge-
winnt die Kunst. Sie verzichtet auf ihr stärkstes
Übergewicht über die Natur: die unantastbare Ein-
heitlichkeit des Materials, die das Kunstwerk gegen
die Gestalten der Wirklichkeit auf das Bestimmteste
isoliert und ihm die Kraft des Totaleindrucks ver-
bürgt. Sie gewinnt neue optische Reize, neue pla-
stische Sensationen: es entsteht eine eher kostbare
als reine Kunst. Für solche Differenzen war diese
Zeit besonders empfänglich; und in Ägypten be-
deutete wie überall die zusammengesetzte poly-
chrome Skulptur ein Anzeichen künstlerischer Ent-
artung.

Neben dem Kopf der Statuette ist der Sandstein-
kopf der Königin sehr umgearbeitet, grossflächig,
und auf die wesentlichen Formen reduziert. Ist das
kleine Porträt individualisierter, so suchte der
Künstler im harten Stein den allgemeinen Ausdruck
eines beseelten Lächelns auf, das auch spätere
Künstler immer wieder reizte. Man muss sich
hüten, in diesem reizvollen Lächeln das Zeichen
eines besonders hohen Könnens zu sehen, während
es ein Ausweichen der Plastik aus ihrer eigenen
Sphäre der Körpergestaltung in das interessante
Gebiet der psychologischen Menschenerforschung
anzeigt. Es kann jedenfalls dem Kunstvvert einer
Arbeit nichts hinzufügen; denn es bereichert nicht
unser Erleben von Gestalten, sondern rührt an die
Seele.

Diesen Werken fügen wir den Abguss nach
einem fertigen Bildnis hinzu (Abb. 1 ;), der eine
sehr persönliche Auffassung innerhalb der festen
plastischen Konvention erkennen lässt. Das Werk
leitet zu dem Abguss eines Königskopfes, als Ameno-
phis III. bezeichnet, über. Diese Arbeit reicht in der
sehr strengen Formerfindung wie in der plastischen
Schlichtheit und Solidität an Werke des alten
Reiches heran.

Die Werke aus dem Atelier des Thutmes zeigen
innerhalb der Kunst von Teil el-Amarna eine eigene
Handschrift, die sich deutlich von der Art des
Künstlers unterscheidet, der den Berliner Modell-
kopf des Königs schuf. Ihre Formgebung erscheint
kräftiger, sachlicher neben der extremen psycho-
logischen Durchdringung der Form, die bei dem
Berliner Kopf zu der besonderen plastischen Zart-
heit und Differenzierung führte, in der ihm das
Kalksteinköpfchen einer Prinzessin (Abb. Heft I
dieses Jahrgangs, Seite 70) und das Reliefbild
des Königs (Abb. Jahrgang XI, Seite 375) nahe
stehen.

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