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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 5
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Denis, Maurice: Cézanne, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0316

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achteten. Suchte doch auch Odilon Redon, ausser-
halb der kopierten Natur und der Wahrnehmung,
das plastische Gleichgewicht für seine Erregungen
und Träume. Versuchte doch auch er Maler zu
bleiben, ausschliesslich Maler und übersetzte das
Strahlen und Dunkel seiner Einbildung vollkommen.

Wenn ich hier von Odilon Redon sprach, so
geschah es nicht nur um dem Künstler die verdiente
Huldigung zu spenden und ihm die Schuld einer
Generation zu zahlen, vielmehr um aus dem Ver-
gleich beider Meister eine noch genauere Formel
für Ce'zanne zu gewinnen. Sicher ist Redon das
Urbild des Symbolismus, was den plastischen Aus-
druck des Ideals angeht; andererseits ermöglichte
Cezannes Beispiel, die Thatsachen der Wahrnehmung
in künstlerische Elemente zu übersetzen. Redons
Gegenstand ist eher subjektiv, der Cezannes objek-
tiver, aber beide drücken sich durch ein Verfahren
aus, das auf die Schöpfung eines bestimmt gefassten
Objekts hinzielt, das ästhetisch wirkt und gleich-
zeitig die Empfindsamkeit wiedergiebt. Der Künst-
ler, den wir zu erklären versuchen, der umfassend ist
wie seine Zeit, fand in dieser Methode sein Gleich-
gewicht, die tiefe Einheit seines Strebens, und die
Lösung seiner Widersprüche. Der Anblick einer
Cezanneschen Leinwand erschüttert; zumeist ist sie
unvollendet, mit dem Spachtel geschabt, ihr We-
sentliches ist mit falschen Zügen belastet, immer
und immer wieder bemalt und aufgetragen wie
ein Relief. Man überrascht in diesen Arbeiten den
Kämpfer um den Stil und den durch die Natur
leidenschaftlich bewegten Menschen; bald fügt er
sich gewissen klassischen Formeln, bald revoltiert
seine (unedierte) unausgesprochene Sensibilität;
wir sehen Vernunft und Unerfahrenheit, das Ver-
langen nach Abgestimmtheit und das Fieber ur-
sprünglichen Ausdrucks. Niemals ordnet er seine
innere Bemühung technischen Mitteln unter. Sankt
Paulus spricht: „Denn die Früchte des Fleisches
sind denen des Geistes entgegen und das Verlangen
des Geistes dem des Fleisches. Eines ist dem andern
gegensätzlich, drum wird nie euer Wille geschehen".
Dies ist der ewige Kampf zwischen Vernunft und
Sensibilität, der den Heiligen und das Genie er-
schafft.

Wir geben zu, hie und da bleiben Cezannes
Ergebnisse im Chaos. Wir entdecken inmitten
seiner Sensationen klassische Spontanität, und die
Realisierung weist mitunter Lücken auf. Das Be-
dürfnis der Synthese verleitet ihn bereits zu stören-
den Vereinfachungen und er verbiegt seine Formen

des nötigen Ausdrucks und aus übergrossem Ernst.
Dies erklärt die Linkischkeit, die Cezanne oft vor-
geworfen wurde; andererseits erklärt es die naive
und ungeschickte Praktik, die seinen Schülern und
Nachahmern gemein ist.

Sicher ist die Überlieferung keine Angelegen-
heit der Aktkorrektur und der Atelierrhetorik wie
es gewisse Künstler glaubten, die vorgaben Lio-
nardo und Tizian fortzusetzen und damit auch
durchdrangen, wie Cabanel oder Constant. Aber
es ist ebenso kindlich, Cezannes Ruhm aus mancher
nachlässigen Unvollkommenheit ableiten zu wollen.
Machen wir uns von den Vorurteilen los, die Drei-
fussrummel und Neurasthenie verursachten: lassen
wir uns nicht vom Geist der Paradoxe, der Unord-
nung und Haarspalterei verführen. Die Thatsache
besteht, dass man ein Werk peinlicher Anstrengung
missachtet; man bewundert vor allem Entwürfe
und besonders solche, die infolge summarischer Er-
findung und rascher Handschrift eine Art künstle-
rischen Nihilismus darstellen: das ist der Aberglaube
an das Unfertige. Zweifellos ist Guarez Gedanke
richtig: „In Zeiten des Niedergangs ist jedermann
Anarchist, die, die es sind und solche, die wähnen
es nicht zu sein. Denn jeder nimmt die Regel aus
sich selbst . . . man liebt leidenschaftlich die Ord-
nung, aber nicht die Regel, die man empfängt,
sondern die man selbst schafft". Die Werke der
Alten bleiben für uns ein sicheres Kriterium: suchen
wir kein anderes, weil enthusiastische Kritiker ihn
über Chardin und Veronese stellten, ziemt es seine
Lücken zu erkennen und einfach festzustellen, dass
er den Gegenstoss gegen die Verwirrung unserer
Zeit wagte. Dermassen mächtig ist sein Fund und
der Ernst seiner Geste, dass seine Ungeschicklich-
keiten nur wenig stören und zumeist in der allge-
meinen Harmonie verschwinden. Bei gleich schönen
Gaben besassen Chardin und Veronese die Tugend
und Wissenschaft, in der Ausführung des Kunst-
werks weiterzugehen. Sie spielten mit Schwierig-
keiten, die uns unübersteiglich sind. Ihre reiche
Phantasie passte sich den Gesetzen der Anatomie
und Perspektive an, die wir als schlimmste Hinder-
nisse verwerfen. Sie verstanden es mit dem Pinsel
eine gerade Linie oder eine regelmässige Kurve zu
ziehen. Was taugt es alte Herrlichkeiten zu be-
trauern. Dieselben Erschütterungen verkehrten
einst französische Ordnung und begünstigten den
romantischen Einfluss, womit der Niedergang
des Handwerks und die geistige Anarchie, in der
wir kämpfen, begannen. Bewundern wir darum,

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